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Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)

Titel: Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Glaubrecht
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selbst erkannte. Einige glauben angesichts der inzwischen deutlichen Unterschiede in ihren Auffassungen gar, dass Darwin überreagiert habe, als er Wallace’ Ternate-Manuskript las. Darwins Angst, jemand sei ihm zuvorgekommen, entstand nur, weil er mehr in den Text von Wallace hineinlas, als dort tatsächlich stand, meint etwa der Darwin-Biograph Peter Bowler. Wie auch andere lässt er dabei allerdings den von Brooks betonten Umstand unberücksichtigt, dass Darwin etwa Anfang Juni 1858 den entscheidenden Abschnitt über die Divergenz grundlegend umgearbeitet hat. Seine Ideen könnten also durchaus durch Wallace’ Artikel beeinflusst worden sein.
    Über das Prinzip der Divergenz ist viel geschrieben worden. Allerdings zeigt schon die Anzahl dieser Publikationen, die einen ganzen Ordner füllen, dass auch heutige Forscher einige Schwierigkeiten haben, überhaupt zu verstehen, was Wallace oder Darwin eigentlich jeweils gemeint haben könnten mit diesem ominösen Prinzip der Divergenz. So eindeutig wie wir es heute sehen (oder einige Historiker sehen wollen), haben weder Wallace noch Darwin es möglicherweise verstanden und erst recht nicht in unzweideutigen Worten ausgedrückt. Wenn es anders wäre, gäbe es die vielen Artikel und Bücher über just diesen Aspekt im Wettlauf um die Evolutionstheorie gar nicht. Heute betonen einige Historiker gern den Unterschied zwischen der sogenannten »taxonomischen Divergenz«, also den Differenzen innerhalb einzelner Varietäten und Arten einerseits, und dem eigentlichen »Prinzip der Divergenz« andererseits, also jenem Prozess, der unterschiedliche Arten erst hervorbringt. Was genau Wallace und Darwin sich davon jeweils vorgestellt haben, ist für uns heute trotz allen Nachdenkens darüber nur schwer dingfest zu machen.
    Bleiben wir bei den offenkundigen Fakten und der sich verdichtenden Erkenntnis: Darwin hat in nicht unerheblichem Maße sein Manuskript zum Arten-Buch und seine Selektionstheorie verändert und präzisiert. Und zwar in einer kritischen Zeit, in der er sowohl nochmals Kenntnis von Wallace’ Sarawak-Aufsatz nimmt als auch unmittelbar in jenen Tagen, als er bereits von dessen Ternate-Manuskript Kenntnis gehabt haben könnte, eigentlich: gehabt haben müsste. Und dennoch: Es wird wohl für immer ein Rätsel bleiben, was sich im Juni 1858 wirklich in Down House zutrug. Unstrittig aber ist, dass sich Darwin in großer Gefahr sah, durch Wallace um das Primat der Originalität gebracht zu werden. Denn trotz aller Notizbücher, Essays, Briefe und halb fertiger Buchmanuskripte – Darwin hat zu diesem entscheidenden Zeitpunkt nichts wirklich fertig, was zur Publikation taugt.
    »Die Theorie ist Ihre und allein Ihre«: Wallace’ Beitrag, obgleich er nicht unwesentlich dazu beigetragen hat, die Biologiegeschichte zu revolutionieren, ist verblüffend kurz: kaum mehr als 4000 Worte (3764 Worte sind es im Original). Während er Wallace’ Manuskript als »bewundernswert und klar formuliert« ansieht, wie er schreibt, hält Darwin von seinem eigenen Beitrag nur wenig. Vielleicht kein Wunder: Denn kurioserweise – und lange blieb dieser keineswegs unbedeutende Umstand von Historikern gänzlich unbemerkt – ist ein wichtiger Aspekt des delikaten Arrangements nicht geklärt.
    Rätselhaft ist, wer eigentlich jene Passagen aus dem von Darwin bereits 1844 verfassten Essay auswählt, der immerhin 230 Seiten hat, und wer die entsprechenden Abschriften macht, aus denen am 1. Juli vorgetragen wird. Sicher ist nur, dass Hooker Ende Juni Darwin um Kopien seines Briefes an Asa Gray und um Auszüge eines Manuskripts bittet. Ein erhaltener Brief von Darwin belegt, dass diese Abschriften am Abend des 29. Juni 1858 per Boten an Hooker geschickt werden. Per Diener ist diese Post von Down House in drei Stunden nach Kew Garden gelangt. Doch wir wissen nicht, was Darwin ihm am 29. Juni abends mit diesem Begleitbrief versehen tatsächlich schickt und in welcher Form. Offenbar haben Hooker und Lyell dann am 30. Juni wie besessen gearbeitet; denn am Abend jenes Tages schicken sie die Manuskripte dieser historischen Beiträge, nun von Hooker sauber abgeschrieben, mit einer gemeinsamen Erklärung an den Sekretär der Linnean Society, wo diese dann wie üblich am Abend des folgenden Tages, jenem denkwürdigen 1. Juli 1858, vorgetragen werden.
    John Langdon Brooks vermutet aufgrund seiner Recherchen, dass nicht etwa Lyell oder Hooker, sondern Darwin selbst die entsprechenden Auszüge aus seinem Essay

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