Am Ende des Archipels - Alfred Russel Wallace (German Edition)
erleichtert es in jedem Fall aber, Einwände zu entkräften. Unbestritten ist Wallace’ Rolle als Mitentdecker der Evolutionstheorie; doch in seine Rolle als Mitbeschreiber und Verfechter dessen, was Evolution mittels natürlicher Selektion tatsächlich im Einzelnen ausmacht, in diese Rolle wird er erst nach seiner Rückkehr nach England allmählich hineinwachsen.
Darwin bösartigen Betrug vorzuwerfen geht in jedem Fall zu weit. Zwar mögen die Umstände der ersten Veröffentlichung ihrer Evolutionstheorie eigenartig sein, sehr wohl ein delikates Arrangement, bei dem sich niemand die Mühe machte, Wallace um Zustimmung zu bitten. Doch Darwins Ruf und Ruhm stützt sich nicht allein auf diese gemeinsame Aufsatz-Veröffentlichung im Juni 1858; sondern vielmehr auf sein Lebenswerk und seinen großartigen Gedanken einer Auslese in der Natur, sei es die natürliche oder die geschlechtliche Zuchtwahl. Mag Darwin letztlich bekommen haben, was er wollte; es ist zweifellos etwas, was ihm zusteht. Auch Wallace hat genau das bekommen, was er wollte: wissenschaftliche Anerkennung und die Aufnahme in den Kreis der führenden viktorianischen Naturforscher. Für ihn ist der Ternate-Aufsatz letztlich nur eine Episode in seinem langen und bewegten Leben. Als er nach England zurückkehrt, ist er noch ein vergleichsweise junger Mann, der noch fünfzig seiner über neunzig Jahre vor sich hat.
Und so endet unsere Geschichte, in der zugegeben noch immer viele Fragen unbeantwortet sind. Ob es tatsächlich eine Verschwörung gab? Hat Darwin Wallace wirklich übervorteilt und ist dieser durch die gemeinsame Veröffentlichung benachteiligt worden? Eine bessere Antwort mag in den fehlenden Dokumenten und Briefen liegen. Bis sie gefunden werden, ist alles andere Spekulation. Wer diese Briefe findet, vielleicht auf einem Dachboden oder anderswo, kann vielleicht einmal unsere Fragen beantworten; vielleicht werden diese Antworten aber auch niemals gefunden.
Das Ende der Expedition: Als Darwins Arten-Buch im November 1859 erscheint, ist Wallace noch immer unterwegs in der Inselwelt der Molukken, auf der Jagd nach neuen Schmetterlingen und den Paradiesvögeln. Auf Darwins Veranlassung schickt der Verleger John Murray ein Exemplar des Buches an Wallace. Der gratuliert Darwin dazu unmittelbar nach Erhalt Mitte Februar des darauffolgenden Jahres (von der Insel Ambon aus). Wallace wird die »Entstehung der Arten« in den folgenden Monaten »fünf- oder sechsmal mit wachsender Bewunderung« lesen, wie ein Chronist vermerkt; und er ist zunehmend beeindruckt davon, wie Darwin alle Überlegungen zusammengeführt hat. Der antwortet Wallace am 18. Mai 1860: »Sie müssen mir gestatten, Ihnen zu sagen, wie sehr ich die hochherzige Art bewundere, mit welcher Sie über mein Buch schreiben.« Doch spräche er, Wallace, viel zu bescheiden von sich selbst. »Sie würden, wenn Sie freie Zeit gehabt hätten, die Arbeit genauso gut, vielleicht noch besser getan haben, als ich sie gemacht habe.«
Doch da ist Wallace entschieden anderer Ansicht. In einem Brief an Henry Bates im Dezember 1860, der sich auch in seinen Lebenserinnerungen findet, bekennt Wallace: »Ich glaube aufrichtig, dass, mit wie viel Geduld ich immer gearbeitet hätte, ich niemals die Vollständigkeit dieses Buches, seine Evidenz, seinen Ton und Geist hätte erreichen können. Ich glaube, dass es noch nie eine so vollständige Illustration eines neuen Zweiges der menschlichen Erkenntnis durch die Arbeit eines einzelnen Mannes gegeben hat.« Und an seinen lebenslangen Freund George Silk schreibt Wallace: »Mr Dar win hat der Welt eine neue Wissenschaft geschenkt, und meiner Meinung nach sollte sein Name über denen aller Philosophen der Antike und der Neuzeit stehen. Man kann ihn nicht genug bewundern!!!« Drei Ausrufungszeichen bis heute.
Während Darwin in England die Früchte seines jahrzehntelangen angestrengten Überlegens und seines jahrelangen fleißigen Schreibens erntet, nutzt Wallace den wirtschaftlichen Erfolg seiner Aru-Expedition, die ihn mit ausreichend Mittel versorgt, um noch zwei weitere Jahre kreuz und quer durch die Inselwelt der Molukken zu reisen, unter abenteuerlichen Verhältnissen, die mehr als einmal sein Leben in Gefahr bringen. Erst 1861 wird Wallace über Celebes und Java den Rückweg antreten. Zuvor ist die Insel Bacan (oder Batchian, wie sie bei Wallace heißt) einer der Höhepunkte im Osten des Archipels, wo er – wie sollte es anders sein – von Oktober 1859 an
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