Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens
Wochenenden gegeben. Irgend etwas hatten sie immer zusammen gemacht, manchmal Musik gehört, gelesen oder einen Film angesehen. Häufig hatten sie sich auch mit den Freunden getroffen.
Fast jedes Wochenende eigentlich, dachte Jessica. Man war zusammen in einen Biergarten gegangen oder zu den Seen hinausgefahren, hatte Wanderungen unternommen oder bei einem von ihnen daheim zu Abend gegessen. Sie hatte das damals nicht in Frage gestellt. Heute, an diesem Samstag, drei Wochen nach Alexanders Tod, überlegte sie erstmals, ob sie diese Art der Freizeitgestaltung überhaupt gemocht hatte.
Patricia hatte - natürlich - stets das große Wort geschwungen. Eigentlich hatte niemand sonst je richtig reden oder erzählen können. Evelin hatte blaß und schwermütig in einer Ecke gesessen. Tim hatte sich irgend jemanden aus der Gruppe geschnappt und ihn in ein leises Gespräch, jenseits von Patricias Getöse, gezogen, bei dem er ihn meist psychologischen Analysen unterzog. Alexander war angespannt gewesen und hatte ausgesehen, als
habe er Kopfschmerzen, was er jedoch jedesmal abstritt. Leon war häufig zu spät gekommen, hatte sich entschuldigt, liegengebliebene Arbeiten im Büro aufgearbeitet zu haben. Fast kein Wochenende offenbar, an dem er nicht arbeitete. Da seine Kanzlei, wie sich herausgestellt hatte, schon länger vor dem Aus gestanden hatte, mochten dies verzweifelte Versuche gewesen sein, das Schlimmste noch abzuwenden. Aber vielleicht war auch anderes im Spiel gewesen. Der fabelhaft gut aussehende Leon … der Patricia eigentlich gar nicht hatte heiraten wollen, der unter dem Druck geächzt hatte, den sie Tag für Tag ausübte. Wäre es verwunderlich gewesen, wenn er sich anderweitig ein wenig schadlos gehalten hätte? Und war dies der Grund gewesen für Patricias unablässiges, krampfhaftes Bemühen, ihre Familie als vollkommen darzustellen?
Und ich? fragte sich Jessica.
Sie hatte sich nicht wohl gefühlt in der Runde. Da war so viel Spannung gewesen, so viel Zwanghaftigkeit. Zwei Menschen hatte sie überdies nicht im geringsten leiden können: Patricia und Tim. Mit keinem von beiden hätte sie freiwillig soviel Zeit verbracht. Warum also hatte sie es getan?
Weil ich Alexander nie aus dieser Gruppe hätte lösen können. Nie im Leben. Eher hätte er mich fallengelassen.
Sie merkte, daß sie Kopfschmerzen bekam, stand auf und schob ihre Gedanken vehement zur Seite. Was sollte sie noch grübeln? Alexander war tot. Tim und Patricia ebenfalls. Leon und Evelin brauchten Hilfe.
Nicht nachdenken, nicht nachdenken, nicht nachdenken!
Da ihr nichts Besseres einfiel, den leeren Samstag zu füllen, beschloß sie, zu Evelin zu fahren und sich in ihrem verwaisten Haus ein wenig umzusehen.
Und dann einen schönen, langen Spaziergang mit Barney zu machen.
Alicia hatte sich vorbildlich und offenbar äußerst zuverlässig um das Haus ihrer Arbeitgeberin gekümmert. Niemand hätte glauben können, daß es seit fünf Wochen leer stand. Nirgendwo vertrocknete Blumen, kein Staub, kein überquellender Briefkasten. Nicht einmal die Luft roch abgestanden; Alicia mußte noch am Morgen gründlich gelüftet haben. Vielmehr hätte man meinen können, Tim und Evelin seien nur einmal kurz zu einem Spaziergang aufgebrochen oder machten irgendwo einen Besuch. Nichts deutete darauf hin, daß der Hausherr tot war und seine Frau unter Mordverdacht in einem englischen Gefängnis saß.
Barney schoß aufgeregt schnuppernd hin und her, so daß Jessica schließlich Angst um einige kostbare Bodenvasen bekam, die überall herumstanden, und ihn in den Garten ließ. Dabei stellte sie fest, daß selbst der Rasen perfekt gemäht war. Alicia hatte dies fremde Haus zweifellos weit besser in Schuß gehalten als sie selbst ihr eigenes.
Sie mochte Tims Praxis im Souterrain nicht betreten und beschränkte sich daher auf die Privaträume des Paares. Ein wenig ziellos streifte sie umher, ohne auf einer konkreten Suche zu sein, einfach nur offen für die Atmosphäre des Hauses.
Evelins Haus.
Evelin. Sie hatte sie vom ersten Moment an gemocht. Noch bevor sie hatte ahnen können, daß sie ihren späteren Mann über sie kennenlernen, daß sie Teil einer verschworenen Gemeinschaft werden würde. Damals, als sie der Anruf aus dem Schlaf riß.
»Bitte kommen Sie schnell. Meinem Hund geht es so schlecht. Ich glaube, ich schaffe es nicht mehr in die Tierklinik!«
Sie hatte ja nur ein paar Häuser weiter gewohnt. Sie war im Handumdrehen in ihren Kleidern
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