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Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens

Titel: Am Ende des Schweigens - Link, C: Am Ende des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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wichtig. Ich kann ihr ja nicht mal einen Vorwurf daraus machen, schließlich ist Ricarda nicht ihre Tochter. … Ja. Ja, ich weiß. Aber Ricarda lehnt sie immer noch komplett ab. An ein Gespräch ist gar nicht zu denken.«
    Jessica oben an der Treppe schluckte trocken und trat vorsichtig auf die oberste Stufe. Sie hatte keinen Zweifel daran, mit wem Alexander telefonierte: mit seiner Ex-Frau. Mit Elena.
    Es war nicht so, daß die beiden sonst nie telefoniert hätten. Schon wegen Ricarda gab es immer wieder Dinge zu besprechen, und Jessica hatte nie ein Problem damit gehabt. Doch diesmal war es anders, völlig anders: Der konspirative Anstrich der Situation vermittelte auf einmal ein neues und dabei bedrohliches Bild. Die frühe Uhrzeit, Alexanders gedämpftes Flüstern allein hätten gereicht, Jessica zutiefst zu verunsichern. Aber dazu kamen noch der Klang seiner Stimme und das, was er sagte. Er wirkte hilfesuchend wie ein kleines Kind, schien sich an Elena geradezu festzuklammern. So hatte sie ihn noch nie gehört, so war er auch ihr gegenüber nie gewesen. Und noch nie hatte er mit Elena über sie gesprochen. Das tat er einfach nicht. Nicht über Jessica, nicht über ihrer beider Beziehung, und schon überhaupt nicht über mögliche Probleme.
    Offenbar redete nun Elena längere Zeit, denn Alexander sagte nur hin und wieder »Ja« oder »Nein« und einmal: »Natürlich nicht!«

    Schließlich flüsterte er: »Elena, du ahnst nicht, wie hilflos ich mich oft fühle. Früher, da war ich selbstsicher und davon überzeugt, Schwierigkeiten meistern zu können. Aber jetzt denke ich manchmal, ich verliere den Boden unter den Füßen, ich gehe unter, ich finde keinen Halt.«
    Wieder schwieg er. »Nein«, sagte er dann, »nein, nicht wegen Ricarda. Nicht in erster Linie. So oft ist sie ja gar nicht bei mir. Es ist … alles. Mein Leben. Du weißt ja …«

Jessica schloß die Augen. Übelkeit und Schwindel stiegen in ihr auf, und diesmal hatten sie nichts mit ihrer Schwangerschaft zu tun.
    Als das Rauschen in ihren Ohren nachließ, hörte sie Alexander gerade sagen: »Fast jede Nacht. Na ja, jede zweite. Es ist schlimmer geworden … Nein, sie weiß nichts … Bitte? Ich sage eben, daß ich schlecht träume … Um Gottes willen, sie soll es auch gar nicht wissen. … Meinst du? Du kennst sie doch gar nicht!«
    Sie bohrte ihre Fingernägel in die Handflächen. Es tat weh. Es tat so schrecklich weh.
    »Trotzdem, nein … Ich kann mich auf dich verlassen? Zu niemandem ein Sterbenswörtchen. Es ist allein meine Sache … Allein , sage ich, Elena, ganz allein ! Es betrifft Tim und Leon einfach nicht so wie mich … Ach«, er lachte plötzlich, aber es war ein klägliches, verzweifeltes Lachen, »du wirst mir das nicht ausreden können, Elena. Du wirst an all dem ohnehin nichts ändern können. Du hast es doch so oft versucht. So oft!«
    Es war Zärtlichkeit in seiner Stimme. Oder, so versuchte Jessica den Eindruck abzumildern, wenn nicht Zärtlichkeit, dann doch Vertrautheit. Ungeheuer viel Vertrautheit. Sie ist die Frau, die ihn kennt. In- und auswendig. Seine düstersten, verschwiegensten Seiten. Sie weiß, was es ist, was ihn nachts zitternd und schwitzend aus grausamen Träumen hochschrecken läßt, sie kennt die Bilder, die ihn verfolgen. Er wagt es, vor ihr schwach zu sein, er vertraut ihr voll und ganz. Und sie ist der Mensch, zu dem er flüchtet, wenn es ihm schlechtgeht.

    Sie sind geschieden , sagte sie sich. Menschen ließen sich nicht scheiden, wenn sie einander noch liebten. Es bedurfte eines hohen Zerrüttungsgrades, eine Ehe aufzulösen, besonders dann, wenn ein minderjähriges Kind zum eigentlichen Opfer der Trennung wurde. Viele Paare versuchten allein ihres Kindes wegen die Ehe aufrechtzuerhalten. Alexander war ein verantwortungsbewußter Vater, und er liebte Ricarda sehr. Ricarda ihrerseits - trotz allem, was sie derzeit auf Abstand gehen ließ - liebte ihren Vater abgöttisch. Alexander mußte zutiefst überzeugt gewesen sein, mit Elena keine Zukunft zu haben, um sich von Ricarda zu trennen.
    »Wenn du mir nur helfen könntest«, sagte er gerade, »wenn du mir nur irgendwie helfen könntest …«
    Es ist ein Alptraum, dachte Jessica. Denn nur ein wirklich böser Traum konnte sich so anfühlen: hier zu stehen an einem kühlen Frühlingsmorgen, in einem alten, steinernen Haus, das auf einmal düster und kalt wirkte, barfuß, frierend auf den Treppenstufen, darüber hinaus fröstelnd aus einer plötzlichen

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