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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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Kräfte, die sie nie zuvor an sich verspürt hatte. Zuvor war sie ein dünnes, abgehärmtes Wesen, jetzt aß sie wieder mit Appetit, ihr Körper rundete sich weiblich, auf ihre Wangen kehrte die Farbe zurück. Sie hatte gespürt, dass auch Ignaz mit ihr glücklich war. Sie sah voller Hoffnung in die Zukunft. Bald würde sie achtzehn. Einwände des Amtsvormunds gegen eine Heirat waren nicht zu erwarten, er würde froh sein, sie vom Hals zu haben. Dann endlich würde sie dem Mief der Stallungen entfliehen können, den Nachstellungen des geilen Wirts, dem Gefühl von Hilflosigkeit und Unwert. Sie liebte ihn mit jeder Faser ihres Körpers. Schon der Gedanke an seine Berührungen ließ sie erbeben.
    Bis zu dem Tag im Herbst, an dem er ihr seinen Entschluss mitteilte. Freimütig gestand er, dass er seine Braut nicht sonderlich liebe. Aber diese habe nun mal einen Hof geerbt. Nie wieder würde er so eine Chance bekommen. Sein Leben lang habe er von einem eigenen Bauernhof geträumt – Ludmilla sei doch vernünftig und könne das bestimmt verstehen. Schon, gell?
    Ihr Kopf musste sich geweigert haben, das Gehörte zu verstehen, denn sie hatte wie ein Automat genickt. Er war erleichtert, schwätzte noch ein wenig mit ihr. Hätten sie nicht eine schöne Zeit miteinander verbracht? Aber was nützte es, wenn er doch nichts hatte, und auch sie nur wenig mehr als das, was sie auf dem Leib trug? Sie reichten sich die Hände und verabschiedeten sich. Ignaz war ein wenig melancholisch gewesen und ihrem Blick ausgewichen.
    Als sie wieder allein war, dachte sie: Hat er nicht gehört, wie es in meiner Brust gekracht hat? Wie es mir das Herz zerissen hat?
    Wochenlang war sie wie versteinert gewesen. Doch sie zerbrach nicht. Sie fühlte, dass es sie vernichten würde, wenn sie diesen ungeheuren Verrat hinnähme. An dem Platz in ihrem Innersten, den zuvor ihre Liebe ausgefüllt hatte, machte sich stählern kalter, grenzenloser Hass breit.
    Sie nahm den Kampf auf. Ihr Dienstherr war ihr erstes Opfer. Der mächtige Brauereibesitzer war ohne Chance. Gnadenlos hatte sie ihn beiseitegefegt. Von einem Anonymus angezeigt (so jedenfalls verlautete es aus der Neumarkter Gendarmerie) und der Vergewaltigung und Schwängerung einer seiner minderjährigen Stallmägde angeklagt und verurteilt, erhängte sich der Bräu wenige Wochen später in einer Zelle des Landshuter Zuchthauses. Unter dem neuen Eigentümer stieg Ludmilla rasch zur weitum geachteten Großdirn auf.
    Dann, zu Lichtmess des letzten Kriegsjahres, traf sie Ignaz am Rande des Dingolfinger Dienstbotenmarkts wieder. Zufällig, wie sie ihn glauben machte. In Wirklichkeit hatte sie ihn nie aus den Augen gelassen und erfahren, dass er Sorgen hatte. Er war aufrichtig erfreut, sie zu sehen. Auch sie tat, als habe sie ihm verziehen. In einem Gasthaus am Stadtplatz plauderten sie miteinander, fast wie in alten Zeiten. Bald schon kippte Ignaz’ gute Laune. Er war froh, jemandem sein Herz ausschütten zu können. Vertrauensvoll schilderte er Ludmilla, wie er auf seinem Hof zu kämpfen habe. Ungeschickt sei seine Bäuerin, das wenige Geld werfe sie zum Fenster hinaus, grundlos lege sie sich mit der Nachbarschaft an, verstände sich weder auf Stallarbeit noch auf das Kochen. Dumm sei sie zudem, klagte er, sie keife ihm die Ohren voll, und mittlerweile grause es ihn nur noch, wenn er die Schlafkammer betrat. Aber das sei noch das geringste Problem, denn wirklich geliebt habe er sie ja nie. Sorgen mache er sich nur um den Hof. Wie bisher könne es unmöglich weitergehen, sonst käme der Hof über kurz oder lang auf die Gant. Er sei deshalb auf den Lichtmessmarkt gekommen, um nach einer tüchtigen Dienstbotin Ausschau zu halten. Bisher habe sich jedoch außer ein paar kränkelnden und zerwerkelten Alten oder Weibsbildern mit fragwürdigen Zeugnissen, denen Liederlichkeit und Faulheit aus dem Gesicht sprang, keine Magd dazu bereit erklärt. Was er diesen auch nicht verübeln könne, angesichts des lächerlichen Jahreslohns, den er anbieten könne.
    Ludmilla hatte verständnisvoll zugehört. Sie schlug ein. Er war erleichtert. Schon nach wenigen Wochen hatte sie sich auf dem Rotterhof unentbehrlich gemacht. Die Schikanen der labilen und neiderfüllten Bäuerin ließ sie klaglos an sich abperlen. Wurde es wieder einmal zu viel, sorgte Rotter mit einem Donnerwetter für Ruhe. Bald ging es mit dem Hof wieder bergauf. Sie wartete.
    Als sie bei einer ihrer Besorgungsfahrten nach Dingolfing bei einer

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