Am Ende des Tages
Dann ließ er der Universitäts-Nervenklinik die Überstellung einer zweifelsfrei Wahnsinnigen ankündigen.
Als auf den Fluren der Kriminalabteilung wieder Ruhe eingekehrt war, ließ sich der Inspektor mit einem Ächzen in seinen Sessel plumpsen. Er zündete sich eine Zigarette an und paffte eine Weile vor sich hin. Dann wandte er sich an seinen Kollegen: »Nach dem, was ich aus dem ganzen Gefasel rausgehört hab, fürcht ich fast, dass wir nicht drum rum kommen werden, uns den einen oder anderen kalten Fall aus letzter Zeit noch einmal vorzunehmen. Was meinst?«
Der Angesprochene nickte mürrisch.
»Fürcht ich auch.« Er seufzte. »Aber ist eh schon egal. Wir haben ja sonst nichts zu tun.«
46.
»Richte diesem Plagegeist aus, dass er seinen Bericht morgen, spätestens übermorgen in Händen hat!«, bellte Kull in die Sprechmuschel.
»Wird gemacht, Chef. Hör ich aus Ihrer wieder mal besonders guten Laune heraus, dass Sie den Fall schon fast gelöst haben?«
»Dusselige Frage«, schnaubte Kull. »Natürlich! Sag mir lieber, was du noch herausbekommen hast. Und ein bisschen presto, ja? Bin in Eile.«
»Erst mal noch eine Ergänzung zu Ihrem ›Schutzbund‹. Ist vielleicht nur am Rande interessant, wirft aber ein treffendes Licht auf diesen Verein. Sein Führer, dieser Major Bischoff, hat sein Zelt nicht zufällig in Österreich aufgeschlagen. Er hat sich deshalb aus dem Staub gemacht, weil er einer der Hauptverdächtigen im Luxemburg- und Liebknecht-Mord ist. Scheint so, als wärs ihm trotz Amnestie noch immer zu riskant, sich im Reich sehen zu lassen.«
»Hm«, brummte Kull. Hat erst mal nichts mit meinem Fall zu tun, dachte er.
»Weiter? Was hast du über die Firma von diesem Lindenfeld rausbekommen?«
»Außer Mutmaßungen und Andeutungen wenig, dazu bin ich einfach zu weit weg. Eine florierende Ziegelfabrik scheint aber anders auszusehen. Seine Fabrik ist irgendwo im Münchner Norden. Haben Sie nen Stift für die Adresse?«
»Denkst du, ich liege hier auf der faulen Haut?!«
»Hoffe doch nicht auf ner schönen Münchnerin.«
Kull schnappte nach Luft. »Bertha!«, wetterte er. »Ist das der Ton, in dem man mit seinem Chef spricht?«
»Mit manchem schon. Und ein bisschen Spaß dürfen Sie mir ruhig vergönnen, wenn Sie schon sonst so knauserig sind.«
Großartig, dachte Kull. Die Kleine ist einfach großartig.
»Ich hab jetzt absolut keine Zeit für dein dummes Gequatsche, ja?«, knurrte er. »Was ist mit dem Rest? Oder war das schon wieder alles?«
»Nicht ganz. Ich hab noch was zu den Nazis. Die scheinen im Moment nicht bloß Sorgen mit ihren Wählern zu haben, sondern auch mit ihren Finanzen. Sie sind nahezu pleite und mussten sogar ihren diesjährigen Parteitag in Nürnberg absagen.«
Passt, dachte Kull. »Sonst noch was?«
»Nein, Chef. Außer, dass Emil wieder auf den Knien vor mir herumrutscht. Aber das ist Ihnen ja egal.«
Kull legte grußlos auf und atmete durch, die Fäuste geballt.
Emil, dachte er. Kaum ist man einmal ein paar Tage weg, tanzen die Mäuse auf dem Tisch. Na warte!
Er hastete aus dem Telefonamt. Vor dem Bahnhof winkte er einer Droschke und ließ sich in den Fond fallen.
»Oberföhring«, befahl er. »Und bisschen Tempo-Tempo, wenn ich bitten dürfte, kapiert? Habs eilig.«
Der Fahrer rührte sich nicht. »Das hab ich jetzt grad ein bisserl schlecht verstanden«, sagte er.
Kull begriff.
»Bitte«, sagte er gepresst.
Der Fahrer grunzte befriedigt und legte den Gang ein.
47.
Es reicht nicht, dachte Kajetan, während er sich das lauwarme Wasser der Pensionsdusche über seinen Rücken rieseln ließ. Herzberg macht sich was vor. Er muss vor Gericht mehr auf den Tisch legen als die Vermutung, Fürst könnte sich zur Tatzeit in der Nähe des Tatorts aufgehalten haben und somit der Mörder sein. Was sein falsches Alibi betraf, würde sich Fürst eine läppische Ausrede einfallen lassen, Lindenfeld einen lässlichen Irrtum geltend machen. Niemand würde es nach all den Jahren noch widerlegen können.
Wir brauchen mehr, dachte Kajetan. Fürst muss überführt werden. Es darf keine Zeit mehr mit nutzlosen Observationen vergeudet werden.
Es gibt nur noch einen Weg. Er muss dazu gebracht werden, einen Fehler zu begehen.
Die Chancen standen nicht schlecht, Fürst war gewalttätig, hatte mit seiner kopflosen Attacke in den Isarauen aber auch gezeigt, dass er leicht die Nerven verlor. Er musste in Unruhe versetzt werden, musste zur Überzeugung kommen, dass es nur noch eine
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