Am Ende des Tages
man sich bequemt, den lebensgefährlich Kollabierten in das Lazarett zu verlegen und seinen Anwalt zu informieren.
»Wie können Sie nur so eine Dummheit begehen«, schalt ihn der Anwalt milde. »Was in Gottes Namen wollten Sie denn mit ihrem Hungerstreik erreichen, Herr Rotter?«
»Es ist kein … kein Streik nicht gewesen«, sagte der Gefangene mit brüchiger Stimme. »Ich … ich hab einfach … nimmer mögen …«
Er wollte raus, dachte Herzberg bestürzt. Egal wie. Und wenn es auf der Totentrage war.
Er atmete durch. »Hören Sie, Rotter. Unterstehen Sie sich, auch nur daran zu denken! Wenn Sie jetzt aufgeben, habe ich all die Jahre umsonst für die Sache gekämpft!« Er beugte sich vor und fuhr eindringlich fort: »Die Eingabe an das Oberlandesgericht ist so gut wie fertig, ich brauche nur noch ein, zwei Tage, um sie abzuschließen. Wir haben wichtige neue Beweise gefunden, Herr Rotter. Wir können jetzt endgültig nachweisen, dass sämtliche belastenden Augenzeugenberichte wertlos sind. Und dass das Alibi des Mannes, der sich zur Tatzeit in der Nähe des Mordschauplatzes aufhielt, nicht stimmen kann.«
Rotter wandte Herzberg das Gesicht zu. Der Anwalt nickte nachdrücklich: »Sie haben richtig gehört. Dieser Schlosser, der am Nachmittag des Mordtages auf ihrem Hof war, hat eindeutig gelogen.«
»Der …?«, sagte der Gefangene.
»Jawohl, gelogen!«, sagte der Anwalt triumphierend. »Und damit sind die entscheidenden Punkte widerlegt, die damals zu Ihrer Verurteilung führten. Kein Zeuge hat Sie beim Verlassen des Hofes gesehen, und eine andere Person hat sich zum Tatzeitpunkt in der Nähe des Geschehens aufgehalten. Damit geht es jetzt nur noch darum, die Spekulationen über Ihr angebliches Motiv auszuhebeln. Aber auch da bin ich mir sicher, dass wir in Kürze zu einem Ergebnis kommen werden.«
»Aber … aber wieso … soll der …?«
»Entweder hat er Ihre Frau aus schlichter Habgier getötet, oder …«, Herzberg zögerte, »… er wurde dazu angestiftet.«
Der Gefangene glotzte ungläubig. Der Anwalt nickte bekräftigend.
»Von wem, kann ich Ihnen noch nicht beantworten. Aber es ist nicht auszuschließen, dass ihre damalige Magd etwas damit zu tun haben könnte. Ich habe zwar noch keine endgültige Bestätigung, aber es besteht sehr wohl die Möglichkeit, dass sich Köller und Fürst schon von früher her kannten.«
»Die Ludmilla? Angestiftet?«, flüsterte Rotter. »Aber wieso denn? Die Fanny hat ihr doch nichts getan.«
Herzbergs Blick ruhte nachdenklich auf dem Gesicht des Liegenden. Ja, verdammt, dachte er. Wieso.
Er öffnete fragend die Hände. »Vielleicht hat sie sich davon versprochen, die Stelle der Bäuerin einzunehmen? Sie haben doch selbst eingeräumt, dass Sie sich gut mit ihr verstanden hätten.«
»Schon …« Das Sprechen bereitete dem Bauern Mühe. »Aber dass die Ludmilla so was … das kann nicht sein. Sie hat nie … nie danach getan, dass sie mich … Ich hätts doch merken müssen … und ich hab ihr kein einziges Mal irgendwas … irgendeine Hoffnung gemacht …« Er schüttelte den Kopf. »Nein, Herr Doktor. Nie hätte sie so was getan. Die Ludmilla ist allerweil handsam und vernünftig gewesen.«
»Ich glaube Ihnen ja, dass Sie diese Wahrnehmung hatten, Herr Rotter. Aber in Erwägung ziehen müssen wir es. Es besteht nämlich kein Zweifel daran, dass Fräulein Köller Ihnen mehr als zugetan war und es im Übrigen noch immer ist. Und wenn ihre Gefühle für Sie auch noch heute derart stark sind, dann ist nicht auszuschließen, dass sie damals noch um vieles stärker waren.«
»Aber die Ludmilla kann den Kerl nicht dazu angestiftet haben, Herr Doktor. Sie hat ihn doch höchstens zwei, drei Stunden gesehen. Und auch da sind die meiste Zeit ich und die Fanny dabei gewesen. Wie kann eins da einen überreden, so was zu tun?«
»Richtig, das ist ziemlich unwahrscheinlich«, räumte Herzberg ein. »Die einzige Erklärung wäre, dass Fräulein Köller diesen Burschen von früher her kannte. Immerhin wissen wir, dass beide einen Teil ihrer Jugend in Neumarkt an der Rott und Umgebung verbracht …« Er unterbrach sich und lächelte unfroh. »Aber zugegeben, es ist vorerst nicht mehr als eine Hypothese.«
Der Blick des Gefangenen wanderte zur Decke des Krankenraums. Er presste die Lider zusammen.
»Aber was auch immer das Motiv des Täters war, Herr Rotter«, fügte der Anwalt entschlossen hinzu. »Wir werden es herausfinden. Ebenso, ob Ludmilla Köller darin verwickelt
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