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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Hültner
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ist. Denn, und damit wiederhole ich mich, es deutet alles darauf hin, dass sie damals in Sie verliebt war.«
    Rotters Gedanken schienen weit entfernt zu sein. Eine Weile war nichts als sein röchelnder Atem zu hören.
    Halt durch, dachte Herzberg. Behutsam berührte er die Schulter des Gefangenen und rüttelte sie sacht.
    »Dann hätt sie mich also doch noch gemocht …«, murmelte Rotter.
    Herzberg stutzte. Hatte er sich verhört? Sein Puls ging unwillkürlich schneller. »Was meinten Sie eben?«
    Rotters Augen blieben geschlossen. Er atmete tief ein. »Wenn stimmen tät, was Sie sagen, Herr Doktor, dann … dann hätt sie mich ja doch noch gemocht … am Anfang wenigstens …«
    »Was meinen Sie mit ›noch‹?!«, stieß Herzberg hervor. »Sagen Sie jetzt bloß nicht, dass – Rotter! Haben Sie mich doch die ganze Zeit belogen?! Sie schworen, kein Verhältnis mit Ihrer Magd gehabt zu haben!«
    Rotter öffnete die Augen. Gepeinigt schüttelte er den Kopf. »Ich hab Sie nicht angelogen, Herr Doktor! Sie … Sie haben mich gefragt, ob ich neben der Fanny mit der Ludmilla was gehabt hab, und das hab ich nicht. Aber frühers … ganz frühers einmal … es ist bloß ganz kurz gewesen, und … nichts Wichtiges … ich bin halt ein junger Bursch gewesen damals …«
    Der Anwalt war aufgesprungen. »Was, Rotter! Was!!«, brüllte er außer sich.
    »Herr Doktor!« Der Wärter räusperte sich warnend aus dem Hintergrund. »Alles was Recht ist. Wir sind da im Lazarett, gell?«
    Herzberg hörte es nicht.
    »Reden Sie, Rotter«, keuchte er. »Reden Sie endlich.«

45.
    Ludmilla zog die Tür des Waschhauses hinter sich zu. Sie beugte sich zu einem gefüllten Wäschekorb, richtete sich mit einem Ruck auf und stapfte über den Kies des Vorplatzes auf den Seiteneingang des Haupthauses zu. Als sie um die Ecke bog, sah sie Kummerer gegen die blendende Herbstsonne. Er stand auf einer Leiter und stocherte mit einer kurzen Schaufel in der Dachrinne, um sie von verrottetem Laub zu säubern. Sie stellte den Korb ab, legte ihre Hand schützend über ihre Augen und rief tadelnd zu ihm hinauf: »Lass das doch von wem machen, Gide.«
    »Bis da mal einer kommt«, gab er zurück, vor Anstrengung keuchend. »Außerdem kost das alles bloß wieder einen Haufen Geld.«
    Sie beobachtete, wie er sich zur Seite beugte und mit einer Hand am Rand der Blechrinne festhielt. Die Leiter schwankte. Sie schüttelte unmerklich den Kopf. Wie ungeschickt er sich wieder anstellte.
    »Aber gib Obacht«, sagte sie besorgt.
    »Keine Sorg. So tatterig bin ich dann auch noch nicht.« Er unterbrach seine Arbeit und feixte einfältig zu ihr hinab. »Meinst nicht auch?«
    Sie antwortete nicht, hob den Korb und ging zum Haus. Sie drückte die Klinke mit dem Ellenbogen herunter und trat in den dunklen Flur. Die massive Tür fiel scheppernd hinter ihr ins Schloss.
    Plötzlich befahl ihr etwas, nicht weiter zu gehen. Ein Schauer kroch ihr über den Rücken, sie krümmte sich fröstelnd, klapperte mit den Zähnen. Ihre Knie gaben nach, sie ließ den Korb fallen, stürzte auf das Treppengeländer zu und klammerte sich an den Knauf. Sie atmete hechelnd. Die Lider wie im Krampf zusammengepresst, vernahm sie ein leises Wimmern. Im selben Moment wusste sie, dass sie es war, aus deren Kehle es drang.
    Es klang wie damals.
    Als sie noch nicht einmal vierzehn war und der tyrannische Neumarkter Bräu auf sie eindrosch, immer wieder. Bis sie ihm, schon halb ohnmächtig, ihre Knie öffnete.
    Und als ihr einige Jahre später ihr Geliebter ankündigte, er würde in ein paar Tagen das Aufgebot bestellen. Aber dass man auf der Schautafel des Gemeindeamtes nicht ihren Namen lesen würde.
    Einen Sommer waren sie und Ignaz Rotter hinter dem Rücken des cholerischen Bräuwirts zusammen gewesen. Sie hatte den unbekümmerten und kräftigen Fuhrgehilfen geliebt, sein freundliches Gesicht, seinen breiten, lachbereiten Mund, den Schalk in seinen Augen, seine Lust zu leben. Mit ihm hatte sie zum ersten Mal in ihrem Leben das Gefühl gehabt, dass sie mehr war als Unrat, der dankbar dafür sein musste, dass man sie überhaupt aufgenommen hatte. Dass es jemand gab, der sie begehrte, der vor Wohlgefühl seufzte, wenn sie ihn umarmte. Der sie, seinen zerbeulten Waldlerhut schief auf dem Kopf, beim Tanz jauchzend herumwirbelte. Mit dem sie zum ersten Mal erfuhr, dass die Liebe nichts mit Schmutz und Erniedrigung zu tun haben musste, sondern auch etwas Heiteres sein konnte. Die Liebe zu Ignaz verlieh ihr

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