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Am Ende des Winters

Am Ende des Winters

Titel: Am Ende des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Seelen umfingen einander, und gemeinsam sanken sie tiefer und tiefer hinab, durch alle Schichten ihrem Ziel entgegen, der warmen dunklen Vereinigung, sie wehten wie Daunenflaum in warmen Windschüben, schwerelos, mühelos dahingetragen, glitten mit Leichtigkeit an den felsigen Abstürzen und scharfkantigen Steinsedimenten der Seele vorbei, meisterten mit arglos reiner Schlichtheit die hinterhältigen Klüfte und Kloaken der Vernunft. Bis sie schließlich völlig ineinandergefügt waren und eins im ändern zur Einheit verschmolzen, eins das andere umfassend und einschließend, völlig geöffnet für das Fluten und Ebben der anderen Seele. Torlyri suchte den Ursprung für Koshmars Beklommenheit, konnte ihn aber nicht finden; und dann – fortgerissen von der Wonne der Tvinnr-Vereinigung – vermochte sie sich nur noch dem Tvinnr selbst hinzugeben.
     Hinterher lagen sie in warmer Erfülltheit dicht beisammen.
    »Ist es jetzt fort aus dir?« fragte Torlyri. »Der Schatten, die Wolke, die auf dir lasteten?«
    »Ja, ich glaube.«
    »Was war es? Magst du es mir sagen?«
    Koshmar antwortete eine Weile nicht. Sie schien nach Worten zu ringen, um dem inneren Schmerz Ausdruck zu verleihen, der Qual, die Torlyri während des Tvinnr nur als harte dunkle Verknotung hatte wahrnehmen können, in den sie weder vorzudringen vermochte, noch ihn begreifen oder zur Auflösung veranlassen konnte.
    Dann, einige Zeit später, vergrub Koshmar sacht die Finger in Torlyris dichtes schwarzes Fell und sagte wie von sehr weit her: »Weißt du noch, was der Hjjk-Mann sprach? Seine letzten Worte an uns? Es gibt keine Menschlichen, Frau aus Fleisch, das hat er gesagt.«
    »Ja, ich erinnere mich daran.«
    »Es haftet in meiner Seele, Torlyri, und es brennt mich. Was kann er damit gemeint haben?«
    Torlyri wandte sich ihr zu, so daß ihre Augen dicht vor den Koshmars intensiv leuchtenden Augen waren. »Er sprach so nur aus reiner übermütiger Bosheit. Er wollte unsere Seelen betrüben, mehr nicht. Er war ungeduldig, es verdroß ihn, daß wir ihn nicht vorüberziehen lassen wollten. Also sagte er etwas, von dem er annahm, es würde uns schmerzen. Es war nur eine Lüge.«
    »Aber er sprach die Wahrheit über die Rattenwölfe«, warf Koshmar ein.
    »Dennoch. Das bedeutet ja nicht, daß auch alles übrige, was er sagte, Wahrheit gewesen ist.«
    »Aber wenn es nun doch so wäre? Wenn wir die einzigen wären, Torlyri?« Koshmar schien die Worte aus der Tiefe ihrer Brust herauf zupressen.
    Die eisige Vorstellung war wie ein Echo auf Torlyris eigene unheilvolle Grübelei vor einiger Zeit. Düster bekannte sie: »Mir ist der gleiche Gedanke gekommen, Koshmar. Aber auch der Gedanke, was für eine Verantwortung wir tragen, was für eine Verpflichtung zum Überleben, falls wir sechzig Leute die einzigen Menschlichen sind, die es noch auf der Welt gibt, wenn alle anderen in des Langen Winters Wüten untergingen.«
    »Verantwortung, ja.«
    »Wie schwer dich dies bedrücken muß, Koshmar!«
    »Aber nun bin ich nicht mehr gar so voll Sorge. Ich fühle mich stärker, Torlyri, seitdem wir Tvinnr waren.«
    »Wirklich?«
    Koshmar lachte. »Vielleicht brauchte ich weiter nichts, als mit dir zu doppeln, wie? Ich war so voller Trübsal, voll düsterer Ahnungen, so überwältigt von einem Gefühl, daß ich eine wahnwitzige Torheit begangen hätte und daß die Strafe für Dummheit stets schrecklich ist… – und ich wußte, daß ich allein verantwortlich sein würde, weil ich es war, die entschied, daß wir den Kokon verlassen müßten, und daß Thaggoran Zweifel hegte, und auch du…« Sie schüttelte den Kopf. »Wie immer hast du mich getröstet und froh gemacht, Torlyri. Du hast mir von deiner Kraft gegeben und mich befähigt, weiterzuhandeln. Das Hjjk-Männchen hat also gelogen, was? Wir sind nicht allein. Wir werden die anderen suchen und finden, und gemeinsam werden wir die Welt neu aufbauen. Ist es nicht so? Gewiß. Ganz gewiß. Wer könnte daran zweifeln! Ach, Torlyri, Torlyri, wie sehr lieb ich dich!«
    Und sie umarmte Torlyri stürmisch. Doch Torlyri ging darauf nur halbherzig ein. Während der letzten paar Augenblicke hatte sie gespürt, wie etwas sich in ihrer Seele veränderte, etwas, das ihr Gemüt wie ein grimmiger, schwerer Schatten umdüsterte. Die Unruhe und Unsicherheit des Vortages waren wieder in sie zurückgekehrt. Wieder schien es ihr, daß das Schicksal des Volkes auf höchst unsichere Weise über einem unendlich tiefen Abgrund hinge. Und nun war

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