Am Ende des Winters
gefragt. Aber ich konnte ihnen keine Auskunft geben.«
Sie blickte ihn fest an. Er hatte eine Färbung in der Stimme, die ihr mißfiel und die sie niemals vordem bei ihm wahrgenommen hatte. Mit dem bloßen Ton der Stimme schien er Kritik an ihr zu unterstellen; es war ein scharfer nörgelhaft-schuldsuchender Ton. Beinahe enthielt er eine Herausforderung.
»Und du hast ein Problem, Harruel?«
»Problem? Ja, was denn für eins? Ich hab dir doch gerade erklärt, die fragen mich, wann wir von hier aufbrechen.«
»Das hätten sie mich fragen sollen.«
»Aber, ich hab dir doch gesagt, du warst nirgendwo zu finden!«
»Ja, eigentlich«, fuhr Koshmar fort, als habe Harruel gar nichts geäußert, »hätten sie gar niemand fragen dürfen, sondern einfach darauf warten sollen, daß man ihnen befiehlt, was sie tun müssen.«
»Aber sie haben mich gefragt. Und ich hatte ihnen nichts Verbindliches zu sagen.«
»Genau«, sagte Koshmar. »Es gibt gar nichts, was du ihnen hättest sagen können. Du brauchst doch im Grunde gar nichts weiter zu sagen als: Wir werden hier aufbrechen, wenn Koshmar bestimmt, daß wir aufbrechen. Derartige Entscheidungen fallen unter meine Weisungsbefugnis. Oder hättest du Lust, Harruel, statt meiner zu bestimmen?«
Er wirkte bestürzt. »Aber, wie sollte denn das sein? Du bist doch der Führer, Koshmar!«
»Ja. Und du tätest gut daran, das nicht zu vergessen.«
»Ich verstehe nicht, worauf du anspielen…«
»Verschwinde!« sagte sie. »Sei so gut und hau ab! Geh! Geh, Harruel!«
Kurz zuckte etwas wie Wut in seinen Augen auf – vermischt mit Bestürzung und vielleicht sogar Furcht. In letzterem war Koshmar sich unsicher. Sie hatte immer geglaubt, Harruel leicht durchschauen zu können. Diesmal ging dies nicht. Er stand einen Augenblick lang da, funkelte sie an, öffnete die Lippen und schloß sie wieder fest, mehrmals, als bedenke er verschiedenartige wütende Widerreden und verwerfe sie allesamt; und dann vollzog er widerwillig die Ehrenbezeugung, wandte sich gewichtig um und wanderte steifbeinig davon. Kopfschüttelnd schaute sie hinter ihm drein, bis er wieder ins Lager hinabgestiegen war.
Seltsam, dachte sie. Sehr seltsam.
Alle Leute schienen sich zu verändern, hier draußen unter den Unbilden des Lebens an diesem Ort ohne schützende Wände. Sie vermochte die Veränderungen in ihren Augen zu erkennen, in ihren Gesichtern, in ihrer Körperhaltung. Einigen schienen Not und Mühsal geradezu Auftrieb zu bringen. Konya war ihr aufgefallen, ein sonst stets stiller Mann, der lieber für sich blieb, der auf einmal beim Marsch inmitten der Kolonne sang und tanzte. Oder der Knabe Haniman, der immer dermaßen weichlich und träge gewesen war: Gestern war er an ihr vorübergerannt, und sie hatte ihn kaum wiedererkannt, so hurtig und lebensheftig war er geworden. Und da waren die anderen, die bleich und müde wurden auf dem Marsch: Minbain etwa, oder der Jungmann Hignord, die sich fortschleppten, mit hängenden Schultern und die ihr Sensororgan im Staub hinter sich dreinschleppten.
Und jetzt dies: Harruel, der herumstampfte und von ihr forderte, daß sie ihm ihren Marschplan mitteile, und der fast so tat, als glaube er sich berechtigt, ihren Rang als Führer des Stammes einzunehmen. So groß und so kräftig er sein mochte, nie zuvor hatte er Koshmar gegenüber derartige ehrgeizige Regungen erkennen lassen. Stets war er auf seine grobschlächtige brummige Weise höflich-ergeben geblieben, gehorsam und verläßlich. Aber hier in diesem grenzenlosen Land ohne Mauern schien etwas Schwarzes, störrisch Starres in seine Seele eingezogen zu sein. Und in jüngsten Tagen schien es ihm kaum noch möglich, sein sehnliches Verlangen, den Stamm an Koshmars Statt zu führen, zu verhehlen.
Natürlich konnte derlei niemals geschehen. Seit ewigen Zeiten war ein Weib der Führer des Stammes gewesen, und nie hatte es darin, seit Begründung des Volks, eine Ausnahme gegeben, und so würde es auch ohne Wandel weiter sein. Gewiß, ein Mann wie Harruel war größer und kräftiger, als jemals eine Frau es ein könnte, aber der Stamm würde kaum einem männlichen Anführer vertrauen, gleichgültig, wie stark er sein mochte. Männer mangelte es an Klugheit; Männer waren bar der Fähigkeit, die Wichtigkeiten unter langfristigen Gesichtspunkten abzuwägen; Männer – jedenfalls die Starken Männer – waren zu plump-direkt und handelten zu rasch und viel zu hastig überstürzt. Es steckte in ihnen einfach zu viel an
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