Am Ende eines Sommers - Roman
bleibst hier und passt auf Andy auf«, befiehlt er mir, und dann rennt er durch das sonnenverbrannte Gras in seinen Jeansshorts und Sandalen und verschwindet im Wald.
Es dauert mehr als eine Stunde, bis Dad zurückkommt. Er ist verschwitzt und staubig, und ich vermute, er hat versucht, zum Auto hinunterzuklettern. Als Dad ging, hat Andy sich in den Schatten der Tür gesetzt und zum Wald hinaufgestarrt, und er hat sich seitdem nicht mehr bewegt. Jetzt sieht er Dad an, und in seinem Blick liegt verzweifelte Hoffnung.
»Was passiert jetzt, Dad?«, frage ich.
Sein Gesicht ist grau über der dunkelbraunen Brust, und er weicht meinem Blick aus.
»Dad?«
Dad schüttelt den Kopf, seine festen Gesichtszüge brechen auseinander, und wir wissen, das alles ist Wirklichkeit. Andy fängt an, auf seine Knie zu weinen, ein heftiges Schluchzen schüttelt ihn. Dad hebt ihn hoch, drückt ihn an sich und wiegt ihn sanft, und er sieht so klein aus. Mein kleiner Bruder.
Mein Verstand sucht nach etwas Nützlichem, etwas Praktischem. »Was sollen wir jetzt machen, Dad? Sollten wir nicht jemandem Bescheid sagen?«
Dad sieht mich über Andys Kopf hinweg an, und sein Gesicht wird wieder ruhig. »Schon gut, Jakey. Es ist alles geklärt. Wir können nichts mehr tun.«
Am nächsten Morgen weckt mich der Hahn, der durch das Tal kräht. Ein ganz normaler Morgen. Ich schaue zur Schlafzimmerdecke hinauf. Es war die erste Nacht, in der ich im Haus geschlafen habe, und ich liege in dem Einzelbett neben Andys am hinteren Ende des Zimmers. Dad hat allein in dem Doppelbett auf der anderen Seite des gelben Vorhangs geschlafen. Die unebenen Wände scheinen sich in der Morgensonne zu kräuseln, die durch das offene Fenster hereinscheint. Ich nehme das erloschene Nachtlicht vom Nachttisch und schwinge die Beine aus dem Bett. Der Steinboden ist kalt unter meinen Füßen. Die dünne Wachsschicht auf dem Boden der metallenen Kerzenschale ist voll von perfekt konservierten, kleinen Motten. Es sind so viele, eine über der andern, dass man sie gar nicht zählen kann. Sie haben sich wohl die Flügel in der Flamme versengt. Andy schläft noch; sein Mund steht offen, und er hat einen Arm hinter den Kopf gelegt. Ich ziehe das Laken am Fußende herunter und decke seine Zehen zu. Dad hat das Gesicht im Kissen vergraben, und ich schleiche behutsam an ihm vorbei, um ihn nicht zu wecken. Ich glaube, es wird ihm guttun, noch ein bisschen zu schlafen. Wegen gestern.
Draußen steigt der Nebel aus dem Tal herauf. Der Tau funkelt auf dem trockenen Gras, und Tausende von feinen Spinnennetzen überziehen das Land vor der Scheune. Mich schaudert, beinahe wäre ich auf dem Weg zu dem stinkenden Chemieklo auf eine riesige Schnecke getreten. Wenn ich ehrlich bin, habe ich vor denen mehr Angst als vor den Schlangen. An dem Tag, als wir ankamen, habe ich gesehen, wie Andy auf eine getreten ist, und ihre orangegelben Innereien sind hinten an seinem Bein heraufgeschossen, bis zum Oberschenkel. Andy hat geschrien wie ein Mädchen, und George und ich haben uns kaputtgelacht, aber mir hat es der Magen umgedreht. Warum hat Gott solche nutzlosen, hässlichen Kreaturen erschaffen? Nicht, dass es einen Gott gäbe. In der aufsteigenden Hitze halte ich den Atem an, als ich auf dem stinkenden Klo sitze, und bringe es hinter mich, so schnell ich kann. Wieso lässt Tante Rachel nicht einfach einen richtigen Lokus einbauen?
Danach tauche ich die Hände in den Blechtrog neben dem Schuppen, schaue über die erwachenden Felder und lasse das Wasser von den Fingern auf die rissige Erde tropfen. Weit hinter der Baumlinie sehe ich den Dunst, der um den alten Olivenbaum herum aufsteigt.
»Mum ist tot.« Ich forme die Worte lautlos. »Tot.« Das Wort fühlt sich fremdartig an. Trocken wie der Boden unter meinen nackten Füßen. Tot. Andy hat sich gestern Abend in den Schlaf geweint, aber ich habe noch keine Träne vergossen. Ich weiß nicht, ob ich es kann.
Dad kommt heraus und steht neben mir. Er legt mir eine Hand auf die Schulter. »Wir werden achtgeben müssen, was wir in der nächsten Woche verbrauchen«, sagt er, und sein ruhiger Blick wandert über das Tal. »Ich hab ausgerechnet, dass wir noch zehn Tage hier sind, und es sind nur zwanzig Nachtlichter übrig. Spätestens Mittwoch sitzen wir im Dunkeln, wenn wir sie nicht einteilen.«
Entsetzt sehe ich ihn an. Mum ist gerade in den Abgrund gefahren, und er macht sich Sorgen, weil uns die Kerzen ausgehen könnten?
»Ich sag dir was«,
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