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Am Ende eines Sommers - Roman

Am Ende eines Sommers - Roman

Titel: Am Ende eines Sommers - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Ashdown
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brauche, um mit der Wimper zu zucken, dreht sie den Kopf, nur ganz wenig, und ich schaue ihr in die Augen und sehe sie, völlig klar und wach und bewusst, und auch wenn ihr Gesicht nicht lächelt, lächeln doch ihre Augen. Ich mache einen Schritt zur Seite, und der Wagen kreischt kurz auf und segelt dann zwischen uns über die Kante wie ein großer Vogel aus Stahl. Wuuusch. Gerade war sie noch da, und jetzt ist sie weg. Wir stehen bewegungslos da, Andy und ich, und starren auf die leere Stelle, an der eben noch der Wagen war. Wir legen uns auf den Bauch und schieben das Gesicht über das verbrannte Gras zur Kante, um einen Blick auf die Trümmer dort unten zu werfen. Tief, tief unten brennt ein kleines Feuer hell zwischen verklüfteten Felsen und trockenen Bachbetten.

 
    Mary,
    August 1985
    Als der Horizont schimmernd und hell vor mir aufsteigt, spüre ich sie neben mir.
    »Alles okay mit dir?«, fragt sie und berührt leicht mein Handgelenk.
    Ich nicke, ohne den Blick von der Straße zu wenden. »Siehst du ihn? Den Vogel?«, frage ich.
    Ein Raubvogel schwebt in der Ferne, er scheint den trägen Wagen zu ziehen, vorwärtszuzerren wie eine unsichtbare Kraft. Eine Schnur zwischen ihm und mir. Eine Nabelschnur. Der Vogel dümpelt in den Hitzeströmungen wie ein Totemtier. Ich bin so müde, ich könnte jetzt schlafen und den Vogel die ganze Arbeit tun lassen.
    »Was für einer ist das?«, fragt das kleine Mädchen.
    »Sieht aus wie ein Turmfalke. Ich weiß es nicht.« Die Straße führt steil bergab, und der Wagen wird schneller. So schnell ist die alte Karre noch nie gefahren. Wenn Billy mich jetzt sehen könnte! Er würde sterben! Ich lache laut, und das kleine Mädchen lacht mit mir.
    »Iiiiiiks! Du fährst wie Stirling Moss!« Sie kichert und klatscht in die Hände. »Sieh dir Jake und Andy an.«
    Da sehe ich sie, eingerahmt von steiler Felswand und Himmel, meine beiden Jungen, mit nackter Brust und braun wie Beeren. Der Turmfalke schwebt zwischen ihnen, eine Flügelspitze auf der Schulter eines jeden. Mein Fuß tritt hart auf den Boden des Wagens, und das Tempo ist berauschend. Ich sause auf sie zu, ein großer Hecht im Ozean dieses blauen Himmels. Jake sieht mich, legt den Kopf zur Seite, versucht mit seinen seltsamen Augen die Sache zu ergründen.
    »Sieht er dich auch?«, frage ich das Mädchen. Ich drehe mich um und sehe in ihr unergründliches Gesicht. »Sieht er dich?«
    Sie zuckt gleichmütig die Schultern, und als ich auf die beiden zuschleudere und Kies und Staub über den schmalen Bergpfad spritzen, lächle ich Jake zu, schicke ihm mein Herz entgegen und wünsche mir sehnlich, dass er versteht. Der Turmfalke verschwindet aus meinem Blickfeld, und die beiden Jungen treten auseinander und machen mir Platz. Jake nickt, ein leichtes Senken des Kopfes nur, und als die Autoreifen die Straße verlassen, fliege ich wirklich.

 
    Jake,
    August 1985
    Als wir das alte Haus erreichen, sind wir nass geschwitzt. Die Luft ist dick von der Hitze, und der Staub vom Waldweg klebt an unseren nackten Beinen. An den Rand des Tals geschmiegt, wirkt La Font jetzt noch einsamer als vorher. Es ist meilenweit von allem entfernt, und außer unseren Verwandten haben wir seit Tagen keinen Menschen gesehen.
    Dad sitzt bewegungslos in der kühlen, dunklen Küche, seine Hände liegen vor ihm auf dem Tisch. Atemlos und wild stolpern wir zur Tür herein, und er sieht uns an mit feuchten braunen Augen.
    »Was ist?«, flüstert er und steht auf.
    Andy und ich sehen einander an und suchen nach den richtigen Worten.
    »Es ist Mum«, sage ich, »der Wagen – er hat einfach – einfach …«
    »– nicht angehalten«, bringt Andy den Satz zu Ende. »Er hat einfach nicht angehalten, Dad. Wir haben es gesehen – er ist über die Böschung geflogen. In der Kurve, Dad. In der Kurve mit den ganzen Blumen. Sie ist einfach über die …« Seine Stimme wird zu einem gequälten Wimmern, und der Schock flutet über uns alle hinweg. Noch immer sehe ich Mums ruhiges Gesicht, als sie vorbeirast, und noch immer höre ich das pochende Stampfen des Blutes an meinen Ohren.
    Andy und ich stehen in der Tür, und unsere Schatten reichen weit in die Küche. Dad blinzelt ins Sonnenlicht. Er starrt auf den Steinboden; eine Hand hängt schlaff herunter, die andere umfasst seinen Hinterkopf, als wollte er mit ihr alles zusammenhalten.
    »Bleibt hier.« Er flüstert fast. Ich will antworten, aber er packt mich bei den Schultern und blickt mir in die Augen. »Du

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