Am Ende eines Sommers - Roman
»Du hast den Charme des Teufels«, sagte Mum und rieb seine Schulter, als wir zum Wagen zurückgingen. Er sah hochzufrieden aus. Mir fiel ein, wie Dad sein Französisch an uns ausprobiert hat, und ich begriff, dass er diese Reise seit Monaten geplant hatte.
Auf dem Bord in der Küche stehen mehrere Gläser framboise -Marmelade, die Tante Rachel uns dagelassen hat. Himbeermarmelade und ein warmes Baguette, das wäre der Himmel. Da sind Brühwürfel, Salz, Zucker und Mehl und noch ein paar Dosen Würstchen und Bohnen, aber sonst nichts. Das Schlimmste ist, wir haben nur noch zwei Flaschen Mineralwasser, und Tante Rachel hat gesagt, wir dürfen unter keinen Umständen das Wasser aus der Leitung trinken. Kathy hat einmal eine Gastroenteritis bekommen, an der sie fast gestorben wäre, hat sie erzählt. Das war vielleicht übertrieben, aber einen heftigen Durchfall möchte ich nicht riskieren.
Draußen liegt Dad immer noch bäuchlings in Jeansshorts und mit Sonnenbrille auf der Wolldecke. Sein Rücken ist inzwischen rotbraun und dunkel. Die Sonne scheint wieder sengend heiß, und der Regen ist verdunstet, als hätte es das Gewitter nie gegeben. Er liest eins der Bücher, die Mum eingepackt hat: Cold Comfort Farm . Dad liest sonst nie Bücher. Ich knie mich zu ihm auf die warme Decke.
»Ist das gut?«, frage ich.
»Nicht schlecht«, sagt er und schiebt seine Sonnenbrille ein Stückchen höher.
»Ich hab vorgestern mein Buch ausgelesen. Das macht drei in diesem Urlaub.«
Dad nickt. »Das ist gut, Sohnemann.«
Ich ziehe mein T-Shirt aus und lege mich neben ihn auf den Bauch. Er liest weiter und wedelt eine Schwebfliege zur Seite.
»Pass auf, dass du keinen Sonnenbrand kriegst«, sagt er, ohne den Blick von seinem Buch zu wenden.
»Geht schon«, sage ich, aber ich spüre die Hitze in meinem Nacken. »Dad?«, frage ich, und es klingt weinerlich.
»Hm?«
»Wollen wir in die Stadt gehen, Dad? Wir haben nichts mehr im Haus, und außerdem müssen wir überlegen, wie wir Montag nach Hause kommen. Du weißt schon. Ohne Auto und alles.«
Dad liest weiter. Ich warte.
»Wir haben auch fast kein Wasser mehr. Wir kriegen die Scheißerei, wenn wir das Leitungswasser trinken. Ehrlich, Tante Rachel hat das gesagt.«
Dad legt sein Buch hin. Ich knie mich hin.
Sein Schweigen bringt mich um. »Dad, ich glaube, ich sterbe, wenn ich noch einmal Würstchen aus der Dose esse. Und ich hab seit einer Woche kein Obst mehr gesehen. Ich kriege womöglich Skorbut. Können wir, Dad? In die Stadt gehen? Wir haben noch jede Menge Francs.« Gott sei Dank hatte Mum nichts bei sich, als sie in den Wagen gestiegen ist. Was mögen die gedacht haben, als die sie da unten fanden, mit nichts als einem rosa Bikini und einem Strohhut?
Dad zupft an den ausgefransten Rändern der Wolldecke und sagt immer noch nichts. Andy hat vom Schlafzimmerfenster aus zugehört. Jetzt kommt er raus und lässt sich mit flehendem Blick auf die Decke plumpsen. Eine kleine grüne Eidechse flitzt durch das Gras und an der Mauer der alten Scheune hinauf. Meine Kniekehlen füllen sich mit Schweiß, und Andy sieht mich über Dads gesenkten Kopf hinweg an. Ich nicke ihm zu. Für einen kurzen Augenblick steht alles still.
»Dad?«, fängt Andy an, aber seine Stimme verklingt, und es hört sich an, als ob er gleich weinen wollte.
Ich schaue über das struppige Gras hinweg und wische mir den Schweiß von der Oberlippe. Ich glaube, ich habe nicht mehr genug Energie, um noch mal zu fragen. Also lasse ich mich auf die Decke fallen. Na los! , sagt Andys Gesicht, und ich mache die Augen zu.
»Also gut!«, schreit Dad und erschreckt mich absichtlich. »Dann machen wir’s! Du sollst ja keinen Skorbut kriegen, Jake, oder?« Er lacht und gibt mir einen Rippenstoß. »Wie siehst du denn aus? Wie ein Sack Knochen! Und du bist auch nicht viel besser«, sagt er zu Andy und drückt sein mageres Knie, bis Andy aufschreit. »Wie kommt ein so stattlicher Kerl wie ich zu zwei Strichmännchen wie euch, hm?«
Andy stößt mit der Faust in die Luft, bevor er barfuß losläuft, um Block und Bleistift zu holen. »Hammer!«, kräht er. Aber ich glaube, es wäre nicht richtig, ihn jetzt zu boxen.
Andy schreibt die Liste, und wir sagen alle, was wir haben wollen.
»Baguette. Vier Stück. Den Kuhkäse – du weißt schon, La vache qui rit . Limonade. Pfirsiche – nein, Nektarinen sind besser. Ein paar von diesen Käsecrackern, Ritz oder so was.«
»Wasser?«, fragt Dad.
»Ach ja. Wie viel? Sechs
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