Am Ende ist da nur Freude
verschlechterte.
Als es auf das Ende zuging und sich ihre Kinder um ihr Bett versammelten, stand sie unter einer geringen Dosis Morphium gegen die Schmerzen, zu gering, um ein Delirium auszulösen. Bald schon fing Regina an, mit jemandem zu sprechen, der eindeutig nicht da war. Daher glaubte ihre Familie, dass sie unter den Medikamenten halluzinierte. Doch als sie mich baten, das Morphium abzusetzen, und dann feststellten, dass sie diese Gespräche auch weiterhin führte, konnte das niemand mehr auf die Droge schieben.
Einmal sah Regina plötzlich ihren Sohn an und sagte: »Ich war gerade bei deinem Vater.«
Sie sprach noch ein paar Minuten mit ihrem verstorbenen Mann, war dann aber wieder ganz da, um mit ihrer Familie ein vollständig zusammenhängendes Gespräch zu führen. Kurz danach tauchte sie wieder in ihre Vision ein und sprach mit ihrem Mann. Schließlich kehrte sie wieder »zurück« und wandte sich an ihren Sohn, der an ihrem Bett saß.
Als Arzt habe ich interessante Dinge erlebt, besonders bei meiner Arbeit im Hospiz. Ich zähle es schon gar nicht mehr, wie oft ich von Sterbenden gehört habe »Ich habe Jesus gesehen«, »Ich habe Moses gesehen«, oder »Ich habe meinen Mann/meine Frau/mein Kind esehen«.
Oft werde ich gefragt, warum Ärzte nicht häufiger über diese Visionen sprechen. Dann erkläre ich, dass es dafür viele Gründe gibt. Erstens sind sie am Ende des Lebens kaum bei den Patienten. Sie kommen zu einer kurzen
Beurteilung herein und versuchen, Übelkeit, Erschöpfung, Fieber oder Schmerzen zu lindern. Sie sind zum Heilen und Wiederherstellen ausgebildet, daher gelten Visionen auf dem Sterbebett als Halluzinationen. Etwas weisere Ärzte hingegen könnten diese Visionen als Zeichen des herannahenden Todes deuten. Viele meiner Kollegen würden so etwas nie zugeben oder auch nur darüber sprechen; sie tun diese Phänomene eher als Nebenwirkung der Medikamente oder als Sauerstoffmangel ab.
Bei meiner Arbeit im Hospiz erlebe ich, dass die Ärzte dort mehr Zeit für ihre Patienten haben und sie kennenlernen. Dort habe ich bei sehr vielen meiner Patienten erlebt, dass sie vor ihrem Tod Visionen hatten, und immer brachten sie Frieden und Versöhnung mit sich. Für mich sind diese Visionen nichts Geringeres als ein Wunder.
Wie Sie bei diesen Geschichten sehen können, sind Visionen auf dem Sterbebett sowohl für die Lebenden wie für die Sterbenden oftmals ein beeindruckendes Erlebnis.
Wir werden die Realität der Visionen nicht beweisen können, aber wir haben es in der Hand, wie wir mit dem Erleben eines Menschen umgehen. Hat es einen Wert, einfach weil es authentisch und für den Betroffenen bedeutsam ist? Kann sich die Medizin mit einem Phänomen anfreunden, das außerhalb des Erklärbaren liegt? Interessant sind zum Beispiel folgende Fragen: Wenn eine beträchtliche Anzahl von Wissenschaftlern akzeptieren kann, dass es Gott gibt, können sie dann auch so
viel Vertrauen haben und die Visionen der Sterbenden akzeptieren? Falls nicht, kann dann die konventionelle westliche Medizin mit Respekt anderer Meinung sein, oder wird sie auch weiterhin etwas verwerfen und herunterspielen, was sie nicht versteht? Realität bleibt unverändert Folgendes: Die Sterbenden sehen weniger von dieser Welt und schauen anscheinend in eine kommende Welt.
Nachdem ich so vielen Ärzten und Krankenschwestern, Ärztinnen und Pflegern zugehört hatte, fiel mir auf, dass sie ihre Erfahrungen mit Visionen auf dem Sterbebett sehr häufig als tief bezeichnen. Sie sagen: »Ich glaube nicht, dass es Nebenwirkungen eines Medikaments waren, und es lag auch nicht an einem Sauerstoffmangel … es war einfach ein sehr tiefer Moment.« Sie sprachen nicht von den wissenschaftlichen, technischen Aspekten des Sterbens; sie sprachen von der Kunst des Sterbens. Das brachte mich zu der Frage: Wie werden Sterbende und Visionen auf dem Sterbebett in unseren Büchern und Filmen dargestellt?
Kapitel 4
Visionen auf dem Sterbebett in der Kunst
Es ist etwas weit, weit Besseres, was ich tue, als was ich je getan habe, und es ist eine weit, weit bessere Ruhe, der ich entgegengehe, als ich je gekannt habe.
Letzte Worte von Sidney Carton aus Charles Dickens’ »Geschichte aus zwei Städten« 3
Viele Menschen betrachten die Vorstellung von Visionen auf dem Sterbebett entweder als eine Art New-Age-Spiritismus oder als ein Nebenprodukt der gegenwärtigen Hospiz-Ära. Doch wir brauchen nur einen Blick in die Kunst zu werfen, um
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