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Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Titel: Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Hischmann
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Junge spielt Nintendo DS, macht hektische Bewegungen. Ich sehe geradeaus. Eine Frau mit schwarzem Rock und weißer Bluse steigt aus einem roten Peugeot. Sie kommt auf mich zu.
    Als ich ihr gegenüberstehe, bin ich überrascht, wie sehr mein imaginiertes Gesicht für Hannah ihrem wirklichen entspricht.
    »Du siehst aus wie sie«, sagt sie, und ich frage mich, ob sie nun damit meint, dass ich meiner Mutter ähnlich sehe oder beiden. Sie umarmt mich und ich umarme sie nicht, weil ich Koffer und Rucksack nicht loslassen kann oder Koffer und Rucksack mich nicht loslassen wollen.
    »Wie war der Flug?«
    Ich bin erleichtert, dass auch sie, eine attraktive Endfünfzigerin, die entspannenden Codes für den Fall einer solchen Begegnung nicht parat hat.
    »In Ordnung«, antworte ich.
    Auf den ersten Kilometern schweigen wir, fahren stumm rauf und runter. Scharfkantige rote Steine türmen sich zu Bergen, die Landschaft liegt zerklüftet und trocken zu allen Seiten, Ziegen stehen im Fels und auf der Straße. Eine will den Weg nicht frei machen, meckert heiser und scharrt mit den Hufen. Erst als Hannah aussteigt und mit den Armen schlenkert, verschwindet das Tier im Gefälle. Ein paar Kurven höher hat es eine Ziege wohl nicht einsehen wollen und wird nun, als wir an ihr vorbeifahren, von Fliegen besiedelt und von der Sonne auf den Asphalt geschmolzen.
    Ich halte dem warmen Fahrtwind meine flache Hand entgegen. Am Innenspiegel schaukelt ein Rosenkranz, an dem der heilige Christophorus befestigt ist. Ich tippe gegen den Schutzpatron.
    »Ich bin kein religiöser Mensch«, sagt Hannah. »Aber auf diesen Straßen kann es nicht schaden, daran zu glauben, dass einer auf dich achtgibt.«
    Ein antiquierter Traktor bremst unsere Fahrt an einem steilen Anstieg, wie es auch in Königsburg oft passiert. Weit unter uns schwappt das Mittelmeer, legt sich ins Zeug, in mir ein Gefühl von Urlaub zu erzeugen. Die Straße ist zu eng, um den Gegenverkehr einsehen zu können. Bei den ersten Autos, die auf uns zufuhren, rechnete ich fest mit einem Zusammenstoß.
    Hannah hupt. Der Bauer auf dem Traktor gibt Handzeichen. Sie schert aus und an ihm vorbei. Auf dem Schoß des Bauern sitzt ein kleines Mädchen mit Lolli in der Backentasche und lenkt. Hannah winkt dankend, gibt Gas und weicht ein paar kleineren Felsbrocken aus.
    Wir erreichen den höchsten Punkt unserer bisherigen Fahrt, Hannah drosselt die Geschwindigkeit, parkt schließlich auf einem schmalen Rastplatz mit heruntergekommenem Picknicktisch.
    »Von hier hat man einen der schönsten Blicke.«
    Ich denke an Valentin, vergangene Aussichten.
    Wir steigen aus und setzen uns auf die wettergegerbte Lehne der Picknickbank. Fix überprüfe ich das Holz. Nicht ein Buchstabe wurde hineingeschnitzt.
    Ich schnippe mir eine Zigarette aus dem Päckchen und biete Hannah auch eine an. Sie lehnt ab. Mein erster Zug ist tief und drückt in der Lunge. Ich puste den Rauch einfach formlos aus, weil es unmöglich ist, dass Valentin, mein Blutsbruder, auch wenn wir uns nie geschnitten und gemixt haben, in Norddeutschland die Zeichen sehen kann.
    Ich sitze im Saal eines Schwarzwälder Multiplex-Kinos und sehe den ersten Teil von Herr der Ringe , den Zauberer Gandalf neben dem Hobbit Bilbo, wie er angeberisch Schiffe in die Nacht pafft, höre ein paar Kiffer in meiner Reihe anerkennend flüstern: »Der hat den Bogen raus.«
    Gerade als ich wieder etwas sagen will:
    Peng!
    Mein Körper verkrampft, und ich muss mich anstrengen nicht auszuschlagen und von der Bank zu purzeln. Auf Hannah macht das Geräusch keinen Eindruck. Sie bleibt so gelassen wie eine Supermarkt-Kassiererin.
    »Die Menschen hier schießen gern«, erklärt sie mir.
    Ich drücke die Asche aus dem Filter und stecke ihn in die Hosentasche, versuche es noch einmal.
    »Woher kanntest du meine Eltern? Wart ihr eng befreundet?«
    Hannah zögert, dann erzählt sie: »Claudia, Hans und ich haben uns während des Studiums in Stuttgart kennengelernt.«
    Meine Eltern hatten beide Architektur studiert, ziemlich schnell nach ihrem Abschluss Erfolg damit gehabt. Papa war Spezialist für unkonventionelle Winkelkonstruktionen und Mama entwarf innovative Konzepte zur Raumaufhellung.
    »In den ersten beiden Semestern hatte ich keine richtigen Freundschaften geschlossen und mein damaliger Freund mich für ein sechzehnjähriges Schulmädchen verlassen.«
    Auch Hannah ist also für immer mit dem sechzehnten Lebensjahr verbunden, wenngleich eher tragisch als

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