Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
Freundin hatten, die auf Kreta lebt, ging davon aus, dass sie vorher noch nie dort waren.
Hannah fasst sich, und ich spüre, wie der Schnaps anfängt, Kreise hinter der Stirn zu ziehen.
»Die Untersuchungen der Polizei haben ergeben, dass es ein akuter Defekt der Gashauptleitung war«, sagt sie.
»Verdammt noch mal«, schluchze ich.
»Ich kann dir nicht sagen, wie leid es mir tut. Ich …«
Sie verschluckt sich, hustet und spricht dann gedrungen und heiser weiter.
»Silas, mein Mann, und ich möchten dir sagen, dass wir alles tun werden, um dich zu unterstützen … soweit ich weiß, musst du bald auf die Insel kommen, um –«
Sie bricht im Satz ab, weil sie weiß, dass ich bereits weiß, was ich zu tun habe.
»Ja. Ich wollte später noch einen Flug buchen. Für morgen, falls das möglich ist.«
»Ich könnte dich abholen. Wenn du willst, kannst du bei uns wohnen. Ich verstehe natürlich auch, wenn du das nicht möchtest.«
»Doch, das wäre gut. Ich will den Ort sehen, an dem sie zuletzt waren.«
»Natürlich. Hast du was zu schreiben?«
»Nein, momentan nicht.«
»Okay. Soll ich dir eine E-Mail mit meiner Nummer schicken?«
»Das wäre nett, ja.«
Ich buchstabiere ihr meine Adresse.
»Gut … bis bald, Maximilian.«
»Bis bald.«
Wenigstens hat Hannah mich nicht gefragt, wie es mir geht. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich sie nicht hassen will und trotz allem gespannt auf ihr echtes Gesicht bin.
26
Ich wirbele Staub auf, höre Mäuse rascheln und piepsen. Es vergeht eine knappe Stunde, bis ich die richtige Schachtel finde. Das Gerät liegt zwischen geschnitzten Holztieren, Mitbringsel meines Vaters von seinen Afrikareisen. Auf der olivgrünen Kameratasche lese ich meinen Namen, rot aufgestickt.
Die Startseite meines E-Mail-Anbieters titelt: Elektrozigarette explodiert in Gesicht von Mann. Er verliert alle Zähne und die Hälfte seiner Zunge .
Hannah hat schon geschrieben.
Etliche Telefonate später, die bürokratischen sind mir wesentlich leichter gefallen als die persönlichen, buche ich einen Direktflug von Stuttgart nach Chania. Es gibt nur noch Tickets für die erste Klasse.
Bei Anbruch der Dunkelheit lade ich Lio ins Auto und fahre auf den Hof. Maria, Jan und die anderen machen die Gesichter, die ich erwartet habe, und nehmen mich der Reihe nach in den Arm. Jan ist als Letzter dran und flüstert mir ins Ohr: »Es geht vorbei. Man kann es sich nicht vorstellen, aber es geht vorbei.«
Maria drückt mir einen Jutebeutel in die Hand, in dem sich etwas Klobiges befindet. »Vielleicht ist es blöd. Guck erst rein, wenn du auf der Reise bist.«
Ich übergebe Maria beide Autoschlüssel, 300 Franken für die Parkgebühren und die Hundeleine.
»Ihr müsst den Kombi morgen abholen. Ich habe angerufen, der Parkhauswächter weiß Bescheid und zeigt euch, wo das Auto steht. Unser Garagentor ist nicht abgeschlossen, ihr müsst es bloß aufziehen … ach ja, und achtet bitte darauf, dass Lio keine Maulwürfe ausbuddelt und frisst.«
Im Rückspiegel des Taxis sehe ich sie alle winken und bin froh, dass sie mich nicht flennen sehen.
27
»Dem Jungen war es so wirr im Kopfe, daß er lange nichts von sich wußte. Die Luft pfiff und sauste ihm entgegen, die Flügel neben ihm bewegten sich, und in den Federn brauste es wie ein ganzer Sturm. Dreizehn Gänse flogen um ihn her, alle schlugen mit den Flügeln und schnatterten. Es schwirrte ihm vor den Augen, und es sauste ihm in den Ohren; er wußte nicht, ob sie hoch oder niedrig flogen, noch wohin er mitgenommen wurde.«
»Entschuldigen Sie, mein Herr?«
Das Make-up der Stewardess bröckelt. Lächelnd befiehlt sie mir, meinen Sitz vorzuklappen und den Gurt anzulegen. Ich knicke ein Ohr ins Papier, stecke das Buch zurück in den Jutebeutel. Der Kapitän leitet den Landeanflug ein. Wir durchstoßen die Wolken. Ich sehe das Meer.
28
Ich stehe in der flirrenden Hitze vor dem Flughafengebäude. Wahrscheinlich bin ich der Einzige hier, der nicht für einen Pauschalurlaub auf die Insel gekommen ist. Ein Dutzend Taxis und drei Shuttlebusse – ich empfinde das als recht viel für einen so kleinen Flughafen – reflektieren die hochstehende Sonne, die Fahrer stehen in Grüppchen und rauchen, schmeißen die Stummel von sich und verstauen die dicken Gepäckstücke in den Kofferräumen. Dann stecken sie sich neue Zigaretten an und fahren die Touristen mit einigem Tempo zu ihren Hotelanlagen.
Ich sehe nach links. Niemand. Ich sehe nach rechts. Ein kleiner
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