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Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)

Titel: Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fabian Hischmann
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ein paar Tage alt und knautschig. Als ich den Schinken auspacke, der auch schon leicht schmierig ist, bereue ich plötzlich meine Laune beim Telefonat mit meiner Mutter und will sie anrufen. Ich will sie so dringend anrufen wie noch nie, ihre besorgte Stimme hören, mich über sie ärgern, ihr sagen, dass ich sie lieb habe.
    Ich drücke die letzte Ziffer, warte auf das Freizeichen. Sofort springt die Mailbox an. Ich probiere es ein zweites Mal. Mailbox. Ich hinterlasse keine Nachricht, ich will ja nicht mich hören, sondern sie, unbedingt. Mein gesamter Körper arbeitet an einem Gefühl, das ich nicht kenne, vage hat es wohl mit Angst zu tun, gleichzeitig aber auch mit Einsicht.
    Aus einem Impuls heraus will ich mit Anlauf gegen die Wand laufen, mich selbst außer Gefecht setzen. Schließlich entscheide ich mich für die kalte Dusche.
    Es geht nicht vorbei. Ich kämme meine nassen Haare zurück, schiebe mir Zahnseide durch die Zwischenräume.
    Ich scheiße auf die Zahnreinigung, gehe zum Kühlschrank, nehme das Einweckglas heraus und schaufle mir eine Handvoll von Mamas selbst gemachter Erdbeermarmelade in den Mund. Der Zucker zieht am Gaumen und an den Synapsen.
    Meine Eltern halten mich an den Händen, lassen mich hochfliegen, Papa verzweifelt beim gemeinsamen Mathelernen (»So blöd kannst du nicht sein, Max«), kauft mir eine Kamera, als ich Tierfilmer werden will, schimpft nicht, als das Gerät in einem Karton auf dem Speicher mehr und mehr einstaubt; Mama singt mir ein Schlaflied, erwischt mich beim Onanieren, tröstet mich immer und immer wieder und sagt bei jedem Abschied: »Ruf an, wenn du da bist.«
    Abermals halte ich den Hörer in der Hand, abermals ist da nur die Retortenstimme.
    Piep.
    »Ich bin zu Hause, Mama.«
    Ich lege auf.
    Das Telefon klingelt.
    Ich nehme an.
    »Endlich, hallo. Ich dachte schon –«
    »Max?«
    »Valentin?«
    »Ja. Stimmt was nicht?«
    …
    »Bist du noch da, Max?«
    »Ich … ich kann jetzt nicht, ich ruf dich später an.«
    »Warte, was ist de…«
    Ich lege auf.
    Lio fängt an zu bellen.
    »Aus«, schreie ich, und hole aus und
    Peng!
    zerbirst das Telefon auf dem Parkett.
    Lio bellt lauter und lauter, ich sinke tiefer und tiefer. Es läutet an der Haustür.
    »Sind Sie Maximilian Flieger?«, fragt der Polizist.
    Neben ihm steht seine Kollegin, der ich, bei der Kontrolle vor ein paar Tagen, schon einmal begegnet bin. Ich nicke auf seine Frage und sehe sie an. Aber sie scheint sich nicht an mich zu erinnern. Auch als Lio sich an mir vorbei nach draußen drückt, reagiert sie nicht.
    Ich lege eine Hand ans Herz, wie Leute vor Gericht oder einem Länderspiel es tun.
    »Um was geht es?«, frage ich.
    »Es geht um Ihre Eltern.«
    Der Polizist nimmt seine Mütze vom Kopf und hat, anders als ich es erwartet habe, keine Halbglatze, sondern einen Bürstenschnitt. Seine Kollegin folgt der Bewegung leicht verzögert.
    »Herr Flieger, Ihre Eltern. Sie sind

23
    PENG!

24
    Ich liege unter dem Küchentisch, langsam dämmert es. Weil ich nicht weiterweiß, hieve ich mich auf alle viere und schlage meinen Hinterkopf gegen das massive Holz der Tischplatte. Immer schneller, immer fester.
    Die Nacht kriecht heran. Mir wird schwarz vor Augen. Aus der Dunkelheit läuft der Junge aus New York, der ein Mann geworden ist, mit dem Messer auf mich zu. Grinsend positioniert er sich, bereit zum Stich.
    »Wie heißt du?«, frage ich.
    »Such dir einen Namen aus.«
    »Patrick.«
    »Okay.«
    »Ich dachte, du bist auf Schusswaffen umgestiegen.«
    »Ich bitte dich, Schusswaffen sind was für Anfänger oder Bankräuber. Ich schätze die intensive Auseinandersetzung mit dem Subjekt.«
    Lächelnd prüft er die Schärfe der Klinge.
    »Mach schon«, sage ich.

Zweiter Teil: Ferienende

25
    Maria findet mich.
    Sie muss eine ähnliche Ahnung wie ich zuvor gehabt haben und auf halbem Weg umgekehrt sein. Sie rüttelt an mir, und als ich nicht reagiere und sie das Blut an ihren Fingerspitzen bemerkt, gießt sie mir Wasser übers Gesicht und drückt Krepppapier auf die Platzwunde an meinem Hinterkopf.
    »Was ist passiert?«, wiederholt sie ständig.
    Ich kann zuerst nicht antworten. Sie verliert die Geduld, schreit, bis auch ich endlich schreie: »Sie sind tot!«
    Wir fahren in die Notaufnahme. Maria sagt der Schwester, dass ich von der Hitze geschlagen und umgekippt sei und dass meine Eltern nicht mehr wiederkommen werden.
    Ein Arzt, er sieht verdammt jung aus, hat babyspeckige Wangen, näht meine Platzwunde mit zwei

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