Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
vom Doktor für fit befunden werden und dann ein halbes Jahr später trotzdem im Bett liegen bleiben oder auf dem Bürostuhl zusammenklappen oder sich vor den Zug schmeißen. Als ich mich wieder aufrichte, wird mir kurz schwarz vor Augen.
»Ich wäre jetzt gern allein.«
Sie nickt.
»Du findest den Weg?«
Ich nicke zurück.
Bevor wir die Ruine erreichten, passierten wir die Taverne. Sie ist höchstens ein paar hundert Meter entfernt.
Ich warte, bis Hannah weggefahren ist, und bücke mich, unter der Plastikbegrenzung hindurch, in den Schutt und die Asche.
Ich stehe im Schlafzimmer. Übrig geblieben ist nichts außer ein paar schwarzen Klötzen, die einmal Möbel waren. Um was für Möbel es sich handelte, kann ich nicht erkennen. Ich weiß nicht, warum, aber ich wünsche mir, dass die meisten aus Holz waren.
Auf Zehenspitzen gehe ich weiter in die Küche, der Boden macht unter meinen Schritten ein Geräusch wie bröselndes Herbstlaub, dort liegt ein Herd verbeult und zusammengedrückt auf der Seite, einzelne weiße Stellen sickern aus dem Schwarz. MENS kann ich neben den Temperaturrädern entziffern.
Ich stelle mir vor, wie meine Mutter die Fenster schließt, weil sie die schwüle Nachtluft, Mücken und Motten aussperren will, die Lichter ausknipst und zu meinem Vater ins Bett steigt. Er schläft schon. Sie legt den Kopf auf seine behaarte Brust, das gleichmäßige Auf und Ab schläfert auch sie in kürzester Zeit ein.
Frühmorgens wacht mein Vater auf. Er muss auf die Toilette. Er knipst das Licht an und
___________________________________________________________________________________________________ _____________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________________ ______________________________________________________________________________________
Plötzlich beginnt es unter dem Herd zu knistern.
Misstrauisch neige ich mich dem Knistern entgegen. Es verstummt. Ich trete gegen den Herd. Wieder beginnt es zu knistern und Sekunden später krabbelt ein Dutzend Käfer aus der Ritze. Verblüfft weiche ich zurück. Die Käfer patrouillieren durch das verwüstete Zimmer. Kaum zu glauben, dass etwas hier leben kann, womöglich will.
Ich krame die Kamera aus dem Rucksack und filme das Treiben. Nach ein paar Minuten verschwinden die Insekten wieder in ihr Versteck. Ich versuche den Herd anzuheben. Mit ganzer Kraft gelingt es mir schließlich und darunter sind hunderte dieser Käfer, die neben- und aufeinander herumkrabbeln. Ich gehe noch näher ran. Hinter mir höre ich meinen Vater: »Sie gefällt dir also doch.«
»Ja, Papa. Das beste Geschenk aller Zeiten.«
Ich spule zurück. Ich spule vor. Ich halte das Bild an. Ich schalte die Kamera aus. Erschöpft lehne ich mich zurück in den Sand. Zwei Möwen steuern über mich hinweg, die eine schreit und die andere kackt ins Wasser. Der Horizont ist diesig, kein Land in Sicht.
30
Der Außenbereich der Taverne ist voll besetzt. Gebräunte, verbrannte und auch ein paar blasse Touristen trinken auf den Sonnenuntergang. Wahrscheinlich könnte ich nackt zwischen ihnen hindurchtanzen und sie würden mich nicht bemerken. Denn sie machen Ferien, und hier und heute zählt einzig der rote Kreis, der Stück für Stück ins Salzwasser zu sinken scheint. Sicherlich haben sie längst vergessen, dass vor ein paar Tagen für zwei von ihnen die Ferien jäh zu Ende gingen.
Durch einen klickernden Holzperlenvorhang gelange ich ins Restaurant. Die Farben Blau und Braun dominieren. Ich sehe den Tresen, an dessen Enden zwei große Seepferdchen-Figuren thronen, und Hannah, die Bier zapft. Hinter ihr hängen eine riesige Luftaufnahme von Kreta und ein Wandregal mit Spirituosen. Aus der Küche klingt ein Pfeifen, strömt ein wahnsinnig intensiver Geruch von Fleisch und Fisch in Kombination mit jeder Menge Kräutern. Ich setze mich auf einen Barhocker, so einen aus Holz, der sich nicht dreht.
»Kann ich auch eins haben?«
Hannah schiebt mir ein Pils hin und sagt: »War sehr viel heute.« Ich nicke, schlucke seltsam süßliches Bier.
»Eigentlich wollten wir ein paar Tage zumachen. Aber wenn wir die Touristen jetzt nicht mitnehmen, kommen wir am Ende der Saison nicht hin. Du siehst ja selbst, was hier los ist. Zurzeit ist es jeden Abend so voll. Silas kommt aus dem Grillen gar nicht mehr raus.« Sie platziert die vollen Gläser auf dem Tablett. »Und ich nicht aus dem
Weitere Kostenlose Bücher