Am Ende schmeißen wir mit Gold: Roman (German Edition)
Sie wünschte, sie wäre Casey nie begegnet.
»We get lost and no one cares. There’re too many Caseys.«
Ich sehe in Suzies Augen.
Ich drucke den Artikel aus, buche einen Flug und schlafe ein.
61
Mein letzter Tag in Griechenland beginnt mit einem Schrei.
Silas hat sich beim Gemüseschneiden die Kuppe seines linken Ringfingers abgesäbelt und mit seinem Blut eine Acht auf den Küchenboden getropft. Und weil Hannah kein Blut sehen kann, ist sie, beim Versuch die Fingerkuppe in eine Plastiktüte einzuwickeln und in eine Kühltasche zu stecken, umgekippt und hat sich ihre Schneidezähne in die Lippe gehackt. Daraufhin hat Silas nach Timon und Timon nach mir gerufen, sind wir, ich am Steuer, ins Krankenhaus gerauscht. Und da sitzen und warten Timon und ich nun seit einer Ewigkeit und probieren uns durch die Süßigkeiten im Automaten.
Ich erinnere mich an meinen letzten Besuch im Krankenhaus. Den werde ich immer im Hinterkopf haben, wenn auch gut versteckt durch die Haare. Ich spüre die Narbe höchstens, wenn das Wetter umschlägt oder beim intensiven Shampoonieren. Und jetzt spüre ich sie auch, umgeben von weißen Kitteln und nach Desinfektion schmeckender Luft.
»Hat Silas sich schon öfter geschnitten?«, frage ich.
»Total oft«, sagt Timon mit vollem Mund, lässt noch mehr M&M’s hineinkullern. »Aber so schlimm wie heute, glaube ich, noch nie.«
Er schüttet Cola zu den Schokonüssen und lacht mich an, nachdem er den Brei runtergeschluckt hat. Wie kann jemand nur immer so gelassen sein? Ich stehe kurz vor meinem nächsten Twix und einer totalen Überzuckerung, als plötzlich Hannah vor uns steht. Sie hat ein großes Pflaster auf der Lippe, sieht aus wie schlecht geknebelt.
»Und?«, fragen Timon und ich gleichzeitig.
»Nichts Schlimmes. Bloß die Betäubungsspritze war unangenehm. Eine Gehirnerschütterung habe ich jedenfalls nicht.«
»Und Papa?«
»Weiß nicht. Sind wohl noch mit ihm beschäftigt. Hier sagt einem ja keiner was.«
Kaum hat Hannah das ausgesprochen, taucht auch Silas auf, üppig verbunden. Er schüttelt den Kopf und wechselt leise Worte mit seiner Frau.
»What about your finger?«, frage ich ungeduldig.
»It’s shorter now«, antwortet er und fängt laut an zu lachen.
Zuerst bin ich total perplex, aber wenn Silas lacht, so tief und seeräuberisch, kann ich mich nicht wehren und muss mitlachen. Heute zum vorerst letzten Mal.
Silas Verletzung wirft die Abendgestaltung über den Haufen. Ursprünglich hatte die Familie Peleus ein Essen geplant, den Gastraum für mich freigehalten. Aber jetzt will niemand Silas zumuten, einhändig Fleisch zu schmoren und Kartoffeln zu gratinieren. Darum sitzen wir um den Tisch, trinken Espresso auf den Schreck der ersten Tageshälfte und grübeln über Alternativen. Bis Hannah sagt: »Sárakas.«
Sárakas heißt eine Taverne im Bergdorf Póros. Ohne Schild oder gar Werbung, hat sie sich einen Namen gemacht und es sogar in ein paar Reiseführer geschafft. Schuld ist die Reis-Zitronen-Soße, in der das Huhn serviert wird.
»Viele Touristen finden zwar das Dorf, aber dann nicht zum Essen«, sagt Timon, während Hannah den Wagen durch Sträßchen balanciert, so eng, dass sie wohl selbst einen Fiat Panda wie einen Monstertruck erscheinen ließen.
Wir sind die einzigen Gäste, die nicht aus dem Dorf stammen und ein großes Abendessen serviert bekommen. Das Hähnchen ist bedeckt mit geviertelten Zitronen. Natürlich kann es daran liegen, dass ich den Abschied vor Augen habe, oder am Rakí, den der graue Wirt mit viel Schwung und in kurzen Abständen nachschenkt, aber ich glaube mit Bestimmtheit, dass mir kein Essen je wieder so gut schmecken wird. Ich lege Messer und Gabel beiseite und benutze die Finger, weil die drei anderen es genauso machen.
Nach dem Essen vergrößert der Wirt unsere Gläser, bekommen wir die doppelte Menge Schnaps. Als wir ankamen, musste Silas erzählen, wie sie sich ihre Wunden geholt haben, und das konnte der Wirt gut nachfühlen und hielt uns der Reihe nach den Stumpf seines linken Daumens vor die Nase. Und wenn man ein Schicksal teilt, dann teilt man auch den Schnaps.
Hannah schiebt mir ihr Glas rüber und sagt: »Du weißt, wie die Straßen sind. Man muss klar sehen können.« Kurz bin ich versucht, meine Geburtstagsrede nachzuholen, als Timon sein Knie gegen mein Knie stößt und aus dem Fenster deutet.
Es schneit.
Ich konnte mir auf dieser Insel nichts weniger vorstellen als Schnee und staune jetzt, wie schön er
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