Am Ende siegt die Liebe
eine Frau. Im ersten Moment hielt Carola sie für Say, dann erkannte sie, daß es sich bei ihr um eine andere Thailänderin handelte. Nicht nur, daß sie die Haare anders trug, auch ihre Haltung u nterschied sie von Says.
Als Carola sich lautlos zurückziehen wollte, trat sie auf einen trockenen Zweig. Das leise Geräusch schien in der Stille des nächtlichen Waldes überlaut. Die Thailänderin hob erschrocken den Kopf, sprang sie auf und wollte davonlaufen, stolperte jedoch und schlug lang hin.
Carola war mit wenigen Schritten bei ihr. »Haben Sie sich verletzt?« fragte sie. »Kommen Sie, ich helfe Ihnen.«
Die Thailänderin gab ihr keine Antwort. Wortlos ließ sie sich aufhelfen. Als sie ihren rechten Fuß belasten wollte, verzog sich ihr Gesicht vor Schmerz.
»Vermutlich haben Sie sich den Fuß verstaucht«, meinte Carola. »Wo wohnen Sie? - Kennen Sie Say? - Natürlich kennen Sie Say.« Sie lächelte ihr zu. »Ich werde Sie zu ihr bringen. Stützen Sie sich ruhig auf mich.«
»Wir Say gehen?«
Carola nickte.
»Say böse sein. Sehr böse sein.«
»Wer sind Sie?«
»Kim.« Die Thailänderin schaute auf ihre Hände. »Say Schw ester.«
»Und der kleine Junge? - David?«
»Sohn.« Über Kims Gesicht huschte ein Lächeln.
Carola sah ein, daß es keinen Sinn haben würde, noch weitere Fragen zu stellen. Davon abgesehen, daß Kim kaum deutsch zu sprechen schien, wollte sie auch nicht zu neugierig sein. Auße rdem schien sich Kim vor ihrer Schwester zu fürchten. Sie konnte sich zwar nicht vorstellen, wie jemand vor Say Angst haben konnte, die Tatsachen sprachen allerdings für sich.
Say war im Schlafanzug, als Carola mit Kim kam. Ihr Gesicht drückte Überraschung und Entsetzen aus. Obwohl die junge Frau kein Wort von dem verstand, was Say zu ihrer Schwester sagte, bestand für sie nicht der geringste Zweifel, daß sie ihr heftige Vorwürfe machte. Schließlich brach Kim in Tränen aus.
»Muß das sein, Say?« fragte Carola wütend. »Ihre Schwester hat sich den Knöchel verstaucht. Ich hoffe jedenfalls, daß er nur verstaucht ist und nicht gebrochen, denn sonst müßten wir sie ins Krankenhaus bringen.«
»Wir können nicht ins Krankenhaus, Frau Bender«, antwortete Say. Sie half ihrer Schwester, sich auf die Couch zu setzen. »Bitte, halten Sie mich nicht für schlecht. Ich habe keine andere Wahl. Ich...« Sie richtete sich auf und nahm Carolas Hand. »Bitte, Sie dürfen uns nicht verraten. Wenn Sie jemanden von Kim erzählen, werden sie und ihr Sohn ausg ewiesen.«
»Natürlich verrate ich nichts«, versprach Carola spontan. Sie beugte sich zu Kim hinunter und tastete behutsam den verletzten Fuß ab. »Haben Sie eine Bandage? Es scheint sich wirklich nur um eine Versta uchung zu handeln.«
»Moment.« Say verschwand im Duschraum und kam gleich darauf mit einer Binde zurück. »Geht das?«
Carola nickte. Vorsichtig band sie Kims Fuß ein. »Erzählen Sie mir, weshalb sich Ihre Schwester bei Ihnen versteckt. Wie lange geht denn das schon so?«
»Ein paar Wochen.« Say holte tief Luft. Sie berichtete der ju ngen Frau von dem Deutschen, den ihre Schwester in Thailand kennengelernt hatte. »Im November letzten Jahres holte Werner Vogt sie und seinen Sohn nach Hamburg. Kim erzählte mir, er sei ganz plötzlich bei ihr zu Hause aufgetaucht und hätte ihr gesagt, er hätte in Deutschland schon alles für die Heirat vorbereitet.
Kim konnte ihr Glück nicht fassen. Seit sie mich vor einigen Jahren in Deutschland besucht hatte, wollte sie immer hier leben. Kaum waren sie in Hamburg angekommen, zerplatzten all ihre Träume. Werner Vogt fuhr sie zu einer Wohnung und schloß sie und David dort ein. Manchmal ließ er sich tagelang nicht sehen, dann kam er wieder jeden Abend. Von Heirat war nicht mehr die Rede, und sie hatte auch keine Möglichkeit, sich mit mir in Ve rbindung zu setzen.«
»Er hat Ihre Schwester also wie eine Sklavin gehalten?« fragte Carola entsetzt.
Say nickte. »Sie mußte etwas Deutsch lernen und schließlich sagte er ihr, daß er für sie eine Arbeit in einer Bar gefunden hätte, wo sie auch wohnen könnte. Seinen Sohn brachte er bei einer Frau unter, die mehrere thailändische Kinder betreut. Kim konnte David nur noch montags sehen, wenn die Bar geschlossen war. Er wurde ihr dann von Werner Vogt gebracht und am nächsten Vormittag wieder mitgenommen. Meine Schwester wagte nicht, sich an die Polizei zu wenden. Davon abgesehen, daß ihr dieser Vogt damit gedroht hatte, sie würde in
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