Am Ende siegt die Liebe
bschmerzen hatte und nur nicht darüber sprechen wollte.
An diesem Abend saß Carola auf dem Balkon ihres Zimmers und schaute über den See hinweg. Sie sehnte sich nach Michael. Ihr Freund war am Morgen nach München gefahren und bis jetzt noch nicht zurückgekehrt. Er hatte angerufen und ihr gesagt, daß es wahrscheinlich später werden wü rde.
Nachdenklich nippte sie an ihrer Limonade. Seit ihrer Ankunft in Rottach-Egern hatte sich ihr Leben um hundert Prozent gedreht. Die Anwendungen in Bad Wiessee taten ihr gut und auch die Tropfen, die ihr Dr. Schumann verordnet hatte, doch das war es nicht, was ihr half, endlich wieder Boden unter den Füßen zu fi nden.
Jahrelang hatte sich Carola um andere kümmern müssen und dabei kaum einmal an sich gedacht. Sie hatte niemals Gelegenheit gehabt, so glücklich und unbeschwert zu sein wie andere junge Leute. Wenn es nach ihrem Bruder und ihrer Schwägerin gega ngen wäre, hätte sich daran niemals etwas geändert. Zum Glück war sie fortgefahren und hatte zum ersten Mal seit langen Jahren aufatmen können. Und nun war Michael in ihr Leben getreten, obwohl sie sich zuerst dagegen gewehrt hatte, sich zu verlieben.
»Michael«, sagte sie leise vor sich hin und lehnte sich mit g eschlossenen Augen im Gartenstuhl zurück. Sie überlegte, ob sie nicht aufbleiben sollte, um ihn zu erwarten. Wie sie ihn kannte, würde er seine Müdigkeit vergessen und mit ihr noch ein Stückchen am See spazierengehen.
Du mußt verrückt sein, sagte sie sich. - Nein, nicht verrückt, nur ve rliebt!
Es klopfte. War Michael schon zurückgekommen? - Hatte er sie mit seinem Anruf nur genarrt?
Carola sprang auf, strich sich rasch mit dem Kamm durch die Haare und öffnete die Tür. »Say!« stieß sie überrascht und enttäuscht zugleich hervor. »Say, was ist passiert?« Die junge Thailänderin wirkte völlig aufgelöst.
»Meine Schwester!« stieß Say hervor. »Es geht ihr mit jeder Minute schlechter. Sie hat schreckliche Schmerzen und hohes Fieber. Alles, was sie sagt, ergibt keinen Sinn.«
»Wahrscheinlich phantasiert sie«, vermutete Carola. Sie war am Nachmittag bei Kim gewesen. Da hatte die junge Frau noch kein Fieber gehabt.
»Ich komme mit.« Carola zog sich andere Schuhe an und griff nach ihrer Jacke. Es mußte wirklich schlimm um Kim stehen, sonst wäre Say nicht um diese Zeit zu ihr gekommen. Jetzt machte sie sich Vorwürfe, weil sie nicht mit Michael darüber g esprochen hatte, daß es Kim nicht gutging.
Schweigend eilten sie durch den Park. Unterwegs begegneten ihnen zwei junge Spanier, die als Kellner arbeiteten. Die beiden riefen ihnen einen Gruß zu. Automatisch erwiderten sie ihn. Carolas Angst wuchs von Minute zu Minute.
Endlich hatten sie das Appartement erreicht. Say schloß die Tür auf und ließ die junge Frau an sich vorbeigehen. Sie rief etwas auf Tai ins Schlafzimmer. Eine Kinderstimme antwortete ihr.
David saß bei seiner Mutter auf dem Bett. Als er Carola sah, sprang er auf und rannte zu ihr. Impulsiv schlang er die Ärmchen um sie. »Mama krank«, sagte er. »Sehr krank.«
»Es wird alles gut, David«, sprach Carola, hob ihn hoch und setzte ihn auf die Liege beim Fenster. »Sei schön brav.«
David nickte. Er griff nach seinem Teddy und drückte ihn an sich.
Carola beugte sich über Kim. Das Gesicht der Kranken glänzte vor Schweiß. Ununterbrochen stöhnte sie fast lautlos vor sich hin. Die Beine hatte sie angezogen, die Hände so verkrampft, daß die Knöchel weiß hervortraten. Die junge Frau mußte keine Ärztin sein, um zu erkennen, daß Kim sofort Hilfe brauchte.
»Say, ich rufe Dr. Schumann an«, sagte sie und richtete sich auf.
»Und die Polizei? Man wird Kim und David ausweisen.«
Carola schloß sie in die Arme. »Wenn wir nichts unternehmen, stirbt Ihre Schwester«, sagte sie bestimmt. »Ich weiß nicht, was ihr fehlt, aber ich glaube, es kommt auf jede Minute an.«
Say atmete tief durch. Sie wußte, daß Carola recht hatte. Sie durften nicht länger warten. »Gut, rufen Sie Dr. Schumann an«, erwiderte sie dumpf und ergeben, dann nahm sie ein weiches Tuch und tupfte ihrer Schwester das Gesicht ab.
Dr. Marc Schumann hatte gerade zu Bett gehen wollen, als Carolas Anruf gekommen war. Er hielt sehr viel von der jungen Frau und zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie ihm die Symptome von Kims Krankheit richtig geschildert hatte. Kaum hatte sie aufgelegt, wählte er die Nummer des Tegernseer Kra nkenhauses und bat, sofort einen Krankenwagen nach
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