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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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anders. Die Dreadlocks waren verschwunden. Sein Schädel war rasiert, aber ungleichmäßig und schlampig, das Muster undefinierbar.
    Joel rief: »Was haste mit dein' Haaren gemacht, Mann? Biste kein Rasta mehr?«
    Cal wandte träge den Kopf, nahm den Joint aus dem Mund und lächelte. Selbst auf die Entfernung konnte Joel das unnatürliche Strahlen der Augen erkennen.
    »Hey, Bruder«, antwortete Cal. »Was geht?«
    »Ich geh einen Freund auf der Sixth Avenue besuchen.«
    Cal nickte, als hätte diese Information eine tiefere Bedeutung für ihn. Er streckte Joel den Joint entgegen. Joel schüttelte den Kopf. »Kluger Junge«, bemerkte Cal. »Lass die Finger vom Dope, solang du kannst.« Er schaute auf seinen Zeichenblock hinab, als erinnere er sich plötzlich, was er getan hatte, ehe er sich den Joint angesteckt hatte.
    »Was malste denn da?«
    »Ach, nix. Nur 'n bisschen Gekritzel, um mir die Zeit zu vertreiben.«
    »Lass ma' seh'n.«
    Cal hatte scheinbar willkürlich Gesichter gezeichnet, allesamt dunkel, allesamt sehr unterschiedlich, doch als Gruppe betrachtet, mochte es eine Familie sein. Und tatsächlich: Das einzelne Gesicht - etwas abgerückt von der Gruppe von fünf weiteren - war unverkennbar Calvin selbst; die Fünfergruppe seine eigene Familie. »Das is' echt super, Mann«, befand Joel. »Haste Malunterricht genomm' oder so?«
    »Quatsch.« Cal warf den Block zur Seite, sodass Joel ihn nicht mehr sehen konnte. Dann nahm er einen tiefen Zug und hielt den Rauch in den Lungen. Blinzelnd schaute er zu Joel hoch und sagte: »Häng hier lieber nich' rum.« Er deutete mit einer Kopfbewegung zur Haustür. Sie war besprüht, wie die meisten Gebäude in dieser Gegend. In einem amateurhaften gelben Schnörkel auf der grauen Metalltür hatte sich hier »Chiv!« verewigt.
    »Warum denn nich'?«, wollte Joel wissen. »Was machste denn eigentlich hier?«
    »Warten.«
    »Auf was?«
    »Auf wen. Da drin is' The Blade, und du bist so ziemlich der Letzte, den er seh'n will, wenn er rauskommt.«
    Joel schaute wieder zum Haus. Cal versah sein Amt als Leibwächter, ganz gleich wie weggetreten er schien, ging dem Jungen auf. »Und was macht er hier?«, fragte er.
    »Arissa vögeln«, antwortete Cal unverblümt. »Wie immer um diese Tageszeit.« Er sah auf eine nicht vorhandene Uhr an seinem Handgelenk und fügte dann ironisch hinzu: »Ich hör allerdings kein Stöhnen von ihr, also is' das reine Spekulation. Vielleicht funktioniert sein bestes Stück nich' so gut, wie es sollte. Aber, Bruder, was soll ich dir erzähl'n, ein Mann muss tun, was er tun muss.«
    Sie mussten beide grinsen, und dann fing Cal an zu lachen, erkannte einen Witz in seinen Worten, der wohl nur stoned begreiflich war. Er legte den Kopf auf die Knie, um sein Kichern unter Kontrolle zu bringen, und das gewährte Joel einen besseren Blick auf seinen Kopf. Jetzt erkannte er die Strukturin dem Muster, das auf Cals Schädel rasiert worden war: das Profil eines zubeißenden Schlangenkopfs. Unschwer zu sehen, dass da ein Amateur den Rasierer geführt hatte. Joel konnte sich schon vorstellen, wer das gewesen war.
    »Warum gibst du dich mit dem Typen ab, Mann?«
    Cal hob den Kopf, das Kichern und Grinsen mit einem Mal verflogen. Allein das war schon Antwort genug. Er nahm einen weiteren langen Zug von seinem Joint. »Er braucht mich«, erklärte er dann. »Wer soll sonst diese Tür bewachen, damit er's Arissa in Ruhe besorgen kann, ohne dass irgendein Typ da reinplatzt und ihn kaltmacht, während ihm die Hose um die Füße schlottert? Der Mann hat Feinde, weißte.«
    Die Reihen der Frauen, die The Blade erst benutzt und dann weggeworfen hatte. Die Männer, die nur zu begierig darauf waren, sein Revier zu übernehmen. Denn The Blade betrieb ein florierendes Gewerbe: Er handelte Gras, Koks und Ecstasy gegen Geld, Ware oder - noch besser - Dienstleistungen. Viele junge Männer auf der Straße waren gewillt, ihre Freiheit zu riskieren, indem sie für The Blade einen Juwelierladen ausräumten oder eine Postfiliale, den Gemüseladen an der Ecke oder ein dunkles Haus, dessen Bewohner freitagabends nicht daheim waren ... Was immer sie bevorzugten, um high zu werden - The Blade hatte es im Angebot. Und eine nahezu unbegrenzte Zahl von Gangstern war bereit, jedes Risiko einzugehen, um The Blades Position zu übernehmen. Selbst Joel musste eingestehen, dass es etwas Verlockendes hatte, bei manchen Menschen Angst hervorzurufen, Neid bei anderen, Abscheu bei den meisten und - um

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