Am Ende war die Tat
unter allen Umständen die Schule besuchen, sobald das neue Schuljahr im Herbst begann. Was andernfalls geschehen werde, musste er nicht erst aussprechen. Es stand ganz deutlich im Raum.
Fabia Bender versicherte Ness, sie könne sich glücklich schätzen. Kendra Osborne pflichtete ihr bei. Ness sah lediglich, dass sie bis ans Ende ihres Lebens brauchen würde, um zweitausend Stunden gemeinnütziger Arbeit abzuleisten - eine himmelschreiende Ungerechtigkeit: »Is' nich' fair«, machte sie ihrem Groll Luft.
»Wenn es dir nicht passt, sag ihnen die Namen deiner Freundinnen und wo sie sie finden können«, lautete Kendras Antwort.
Da Ness dazu nicht bereit war, blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Strafe zu verbüßen - und zwar in der Kindertagesstätte in Meanwhile Gardens, wie sie bald erfuhr. Doch selbst die Tatsache, dass diese Einrichtung günstigerweise nur einen Steinwurf von ihrem Zuhause entfernt lag, konnte Ness nicht einen Funken Dankbarkeit entlocken. Vielmehr fühlte sie sich völlig zu Unrecht angegangen, und sie gedachte, dies ihrer Chefin in der Kindertagesstätte bei nächster Gelegenheit vor Augen zu führen.
Diese Gelegenheit ergab sich schon sehr bald. Ein Anruf von einer gewissen Majidah Ghafoor noch am Tag der Gerichtsverhandlung informierte Ness darüber, zu welchen Zeiten sie in der Kindertagesstätte erwartet wurde. Ihre Arbeit sollte umgehend beginnen. Da sie keine fünfzig Meter entfernt wohne, könne sie auf der Stelle herüberkommen und sich mit den Regeln vertraut machen.
»Regeln?«, fragte Ness. »Was meinen Sie mit Regeln? Das is' doch 'n Job und kein Knast.«
»Ein Job, zu dem du verurteilt wurdest«, stellte Majidah klar. »Also, komm bitte umgehend vorbei! Wenn du in zehn Minuten nicht da bist, rufe ich das Bewährungsamt an.«
»Scheiße!«
»Keine sehr gewählte Ausdrucksweise«, entgegnete Majidah in der angenehmen Modulation ihres Geburtslandes. »In der Kindertagesstätte dulde ich kein Fluchen, Miss.«
Ness machte sich auf den Weg, immer noch in der Stimmung, in die ihre Verhandlung sie versetzt hatte. Sie ging durch das Tor im Zaun und stolzierte über den Spielplatz zu dem Container, in dem die noch nicht schulpflichtigen Kinder betreut wurden. Für heute waren sie verschwunden, und Majidah war gerade dabei, nach einem späten Nachmittagssnack aus Milch und einem getoasteten Brötchen mit Erdbeermarmelade den Abwasch zu erledigen.
Sie reichte Ness ein Geschirrtuch. »Sei vorsichtig! Wenn du was kaputtmachst, musst du es ersetzen.« Und dann begann sie ihren Vortrag.
Majidah Ghafoor war eine traditionell gekleidete Pakistani in den mittleren Jahren. Sie war Witwe und weigerte sich, obwohl sie damit gegen die Traditionen ihrer Kultur verstieß, bei einem ihrer verheirateten Söhne zu leben, weil deren Ehefrauen für ihren Geschmack zu »englisch« waren, wenngleich sie selbst bei deren Auswahl ein entscheidendes Wort mitgeredet hatte. Und auch wenn sie ihre elf Enkel liebenswert fand, erschienen sie ihr doch samt und sonders ungezogen, und sie war überzeugt, sie würden allesamt in der Gosse landen, wenn ihre Eltern sie nicht endlich zur Räson brächten.
»Nein, ich stehe viel lieber auf eigenen Füßen«, erklärte sie
Ness, der auf Anhieb nichts eingefallen wäre, was sie weniger interessierte als Majidahs Lebensumstände. »Und auch du wirst hier Zufriedenheit finden. Solange du dich an die Regeln hältst.«
Diese Regeln entpuppten sich als ein einziger Verbotskatalog: Rauchverbot, Handyverbot, Telefonierverbot, kein zu auffälliges Make-up, kein auffälliger Schmuck, keine Musik vom Walkman, MP3-Player oder sonst irgendeinem Gerät, keine Kartenspiele, Tanzverbot, Tattoo-Verbot, Piercing-Verbot, keine Besucher, kein Junkfood (»McDonald's ist der Fluch der zivilisierten Welt«) und keine zu freizügige Kleidung. (»So wie du heute zum Beispiel gekleidet bist. Das werde ich hier nicht dulden.«) Kein Erwachsener oder Jugendlicher durfte das Areal betreten, es sei denn, er oder sie war in Begleitung eines Kindes bis zu sechs Jahren.
Zu alledem verdrehte Ness vielsagend die Augen und antwortete: »Von mir aus. Wann muss ich anfangen?«
»Jetzt gleich. Wenn du mit dem Abwasch fertig bist, kannst du den Fußboden schrubben. Ich entwerfe währenddessen einen Stundenplan für dich. Den schicke ich dann an deinen Bewährungshelfer und deine Sozialarbeiterin, damit sie sehen, wie wir die zweitausend Stunden abzuarbeiten gedenken, die dir für dein Verbrechen
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