Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
Vom Netzwerk:
Riege magerer junger Ballerinen in Spitzenschuhen bei Ness etwas hervorrief, woran sie unter keinen Umständen erinnert werden wollte. Ballett stand für ihren Vater. Seine Prinzessin zu sein. Es erinnerte sie daran, wie sie jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag und Samstagmorgen an seiner Seite zur Tanzschule gelaufen war. An ihre Handvoll Auftritte auf der Bühne, ihr Dad immer in der ersten Zuschauerreihe, mit leuchtenden Augen, kränklich dünn zwar, aber nicht mehr krank. Das Gesicht von Ausschweifungen gezeichnet, denen er abgeschworen hatte. Die Hände zitterten, aber nicht mehr vom Entzug. Er hatte am Abgrund gestanden, drohte aber nicht mehr hineinzustürzen. Er war jemand, der gerne einmal von der Routine abwich, und darum war er an jenem Tag auf der anderen Straßenseite entlanggegangen. Nur deshalb war er in der Nähe der Spirituosenhandlung gewesen. Die Zeugen behaupteten, er habe hineingehen wollen, aber das stimmte nicht. Das stimmte nicht; er war nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen.
    Als Ness aufgrund dieser Erinnerungen die Ballettaufführung nicht länger ertragen konnte, stand sie auf und kämpfte sich durch die Sitzreihe, bis sie den Mittelgang erreichte. Das Einzige, was zählte, war, so schnell wie möglich den Saal zu verlassen, damit sie der Erinnerung entfliehen konnte.
    Kendra folgte ihr. Zischte ihren Namen. Verlegenheit und Wut brodelten in ihr - aus Verzweiflung geborene Wut. Nichts, was sie tat, nichts, was sie versuchte, nichts, was sie anbot ... Das Mädchen befand sich einfach außerhalb ihrer Reichweite.
    Ness war schon im Freien, als Kendra sie einholte. Das Mädchen fuhr zu seiner Tante herum, ehe Kendra etwas sagen konnte. »Das soll meine Scheißbelohnung sein?«, fragtesie. »Das krieg ich dafür, dass ich es tagein, tagaus mit dieser bescheuerten Majidah aushalte? So was kannste dir sparen, Kendra.« Und damit stürmte sie davon.
    Kendra blickte ihr nach. In Ness' Abgang sah sie nicht die Flucht, die es war, sondern lediglich mangelnde Dankbarkeit. Hilflos sann sie auf einen Weg, das Mädchen ein für alle Mal zur Vernunft zu bringen. Sie musste dem Mädchen vor Augen führen, wie die Dinge standen - wie sie sein könnten. In guter Absicht, aber unzureichend informiert, glaubte sie zu wissen, wie sie diesen Vergleich anstellen konnte.
    Dix hatte Einwände gegen ihren Plan, was Kendra auf die Palme brachte. Sie fand, Dix sei ohnehin nicht in der Lage, eine Jugendliche zu handhaben, hatte er diesen Lebensabschnitt doch selbst kaum hinter sich gelassen. Diese Sichtweise stieß bei ihm auf wenig Gegenliebe - vor allem da er darin unter anderem Kendras Absicht zu erkennen glaubte, ihren Altersunterschied zu unterstreichen. Mit einer für Kendra enervierenden und unerwarteten Kombination aus Einfühlungsvermögen und Reife erklärte er ihr, die ungeschickten Versuche, eine Beziehung zu ihrer Nichte aufzubauen, sähen eher so aus, als wolle sie das Mädchen kontrollieren. Außerdem, fügte er hinzu, schien es ihm, als erwarte sie, dass Ness zwar eine emotionale Bindung zu Kendra knüpfen sollte, ohne dass aber Kendra ihrerseits eine solche Bindung mit ihr einging. »Als würdest du zu ihr sagen: Hab mich lieb, aber rechne nich' damit, dass ich dich lieb hab«, waren seine Worte.
    »Natürlich hab ich sie lieb«, widersprach Kendra aufgebracht. »Alle drei. Ich bin ihre Tante, verdammt noch mal.«
    Dix betrachtete sie in aller Seelenruhe. »Ich sag ja nich', dass es falsch is', was du fühlst, Ken. Was du fühlst, is' eben das, was du fühlst, verdammt noch mal. Nich' gut und nich' schlecht. Es is' einfach so, verstehste? Wie sollste dich denn auch fühlen, wenn drei Kids einfach ohne Vorwarnung vor deiner Tür abgeladen werden, he? Es erwartet doch keiner von dir, dass du sie liebst, nur weil sie deine Verwandten sind.«
    »Ich liebe sie aber.« Sie hörte, wie schrill ihre Stimme klang, und sie hasste ihn dafür, dass er sie zu einer solchen Reaktion verleitet hatte.
    »Dann musst du sie akzeptieren«, entgegnete er. »Jeden Einzelnen von ihnen. Du kannst sie sowieso nich' ändern, Ken.«
    In Kendras Augen war er selbst etwas, das sie gerade erst zu akzeptieren gelernt hatte: Da stand er während dieser Unterhaltung vor ihr im Badezimmer, den ganzen Körper mit rosa Enthaarungscreme bedeckt, damit die Haut, die er den Kampfrichtern bei seinem Bodybuilding-Wettkampf zeigte, von Kopf bis Fuß glatt und unbehaart war. Er sah vollkommen idiotisch aus, aber sie sagte keinen

Weitere Kostenlose Bücher