Am Ende war die Tat
Ton dazu, weil sie wusste, wie viel es ihm bedeutete, sich mit den Hanteln eine Krone zu erkämpfen, die dem Großteil der Menschheit völlig gleichgültig war. Wenn das kein Beweis von Akzeptanz war ...
Aber mehr konnte Kendra nicht aushalten. Sie trug zu viel Verantwortung. Die einzige Methode, mit alledem fertig zu werden, war, die Kontrolle wiederzuerlangen - und genau das hatte Dix ihr vorgehalten, aber sie war unfähig, das zuzugeben. Mit Joel war es leicht, denn er war so bemüht, es ihr recht zu machen, dass er meistens schon tat, was sie wollte, ehe sie ihn überhaupt davon in Kenntnis setzen konnte. Selbst Toby war einfach, denn er brauchte nichts als seine Lavalampe und das Fernsehen, um beschäftigt und zufrieden zu sein; und weiter wollte und konnte sie über Toby nicht nachdenken. Aber Ness war von Anfang an eine harte Nuss gewesen. Sie war ihrer Wege gegangen, und das war nun dabei herausgekommen. Irgendetwas musste sich hier ändern, und mit der Entschlossenheit, mit der sie alle Probleme in ihrem Leben angegangen war, entschied Kendra, dass diese Veränderung stattfinden würde.
Es war Ewigkeiten her, seit die Kinder ihre Mutter zuletzt gesehen hatten, und das bot Kendra den Vorwand, den sie für ihre Lektion brauchte. Sie musste nur Fabia Bender anrufen, um Ness für einen Tag vom Dienst in der Kindertagesstätte zu entschuldigen, doch das erwies sich als unproblematisch. Nachdem sie die Freistellung erwirkt hatte, blieb ihr nur noch, Nessdavon in Kenntnis zu setzen, dass es für sie und ihre Brüder wieder einmal an der Zeit sei, ihre Mutter zu besuchen.
Natürlich würde ihre Nichte auch diesmal wieder höchst unwillig sein, Kendras Wünschen zu entsprechen, daher übertrug sie Ness die Aufgabe, ihre kleinen Brüder sicher zur Klinik zu geleiten und wieder nach Hause zu bringen, statt sie selber zu begleiten. Dies, befand sie, würde ihr Vertrauen zu dem Mädchen unter Beweis stellen, und gleichzeitig würde es Ness zwingen, sich damit auseinanderzusetzen, wie ihr Leben aussähe, wenn sie es in Gesellschaft ihrer armen Mutter verbringen müsste. Das würde ein Gefühl von Dankbarkeit in dem Mädchen wecken, und in Kendras Vorstellung war Dankbarkeit ein Bestandteil des Bindungsprozesses.
Vor die Wahl gestellt, zum Dienst in die Kindertagesstätte zu gehen oder eine Zugfahrt aufs Land hinaus zum Krankenhaus zu machen, wählte Ness letztere Option, wie es wohl jedes junge Mädchen getan hätte. Sorgsam verstaute sie die vierzig Pfund, die Kendra ihr für die Fahrkarten und für Caroles Mitbringsel überreicht hatte, und stieg mit ihren Brüdern in den 23er Bus in Richtung Paddington Station. Sie führte die Jungen aufs obere Deck und schien nicht einmal ärgerlich darüber, dass Toby darauf bestanden hatte, seine Lavalampe mitzunehmen, und nun das Kabel die Treppe hinauf und den Gang entlang hinter sich herschleifte und zweimal darüber stolperte, während er sich an den anderen Passagieren vorbeischlängelte. Über diese brandneue Ness hätte ein jeder Beobachter zu positiven Schlussfolgerungen kommen können.
Joel merkte, wie er sich entspannte. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit hatte er das Gefühl, dass die Last der Aufgabe, Toby zu hüten und auf sich selbst und auf den Rest der Welt aufzupassen, endlich einmal von seinen Schultern genommen wurde. Er konnte sogar zur Abwechslung aus dem Fenster schauen und sich an dem Spektakel erfreuen, das die Londoner bei schönem Wetter boten: eine flanierende Masse in möglichst knapper Bekleidung.
Die Campbells hatten Paddington Station und den Fahrkar-
J
tenschalter erreicht, als Ness ihren Plan offenlegte. Sie erstand lediglich zwei Rückfahrkarten für die Strecke und gab Joel nur einen Teil des Wechselgeldes. Den Rest steckte sie selbst ein.
»Besorg ihr ein Aero, die hat sie gern«, sagte sie. »Und 'ne billigere Zeitschrift als Elle oder Vogue. Für Chips bleibt diesmal nich' genug übrig, also müsst ihr so klarkommen, kapiert?«
Joel protestierte, auch wenn er wusste, dass es sinnlos war: »Aber Ness, was haste denn vor ...«
»Ein Wort zu Tante Ken, und ich prügel dich windelweich«, stellte sie in Aussicht. »Ich hab einen Tag frei von dieser Zicke Majidah, und den will ich genießen. Kapiert, Mann?«
»Du kriegst Ärger ...«
»Mir doch scheißegal«, gab sie zurück. »Halb fünf treffen wir uns wieder hier. Wenn ich nich' da bin, wartet ihr auf mich. Is' das klar, Joel? Ihr wartet. Wenn ihr ohne mich nach Hause geht, schlag
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