Am Ende war die Tat
Teilnehmer zum Podium eilten. Dort teilte Ivan Blätter aus, und daraus wie auch aus den gemurmelten Unterhaltungen, in denen die Worte »fünfzig Pfund« zu hören waren, schloss Joel, dass dies der Teil der Veranstaltung war, der zuerst sein Interesse geweckt hatte - der Teil, für den ein Preisgeld ausgelobt war.
Obwohl ihm bewusst war, dass er kaum Chancen auf den Hauptgewinn hatte - zumal er überhaupt nicht wusste, worum es hier eigentlich ging -, trat er dennoch mit den anderen nach vorn. Auch Adam Whitburn nahm teil, und beinahe hätte Joel sich wieder davongeschlichen. Doch plötzlich rief Ivan: »Welch eine Freude, dich zu sehen, Joel Campbell. Bitte sehr. Auf in den Kampf.« Und im nächsten Moment hielt Joel ein Blatt Papier in der Hand, worauf fünf Wörter standen: »Chaos«, »Immer«, »Frage«, »Zerstörung« und »Vergebung.«
Verständnislos starrte er darauf. Er wusste, was die einzelnen Wörter bedeuteten, aber davon abgesehen, hatte er keine Ahnung, was er tun sollte. Er schaute sich Hilfe suchend um. Die anderen Teilnehmer von »Du hast das Wort« schrieben bereits emsig, hielten nachdenklich inne, kauten auf ihren Bleistiften oder ließen gedankenverloren ihre Kugelschreiberminen klicken. Joel vermutete, was sie da schrieben, waren auch solch merkwürdige Gedichte. Er wusste, er konnte entweder gehen oder es ihnen gleichtun. Fünfzig Pfund schienen ihm ein ausreichend guter Grund, sich für Letzteres zu entscheiden.
Die ersten fünf Minuten starrte er nur auf das Blatt, das er bekommen hatte, während die anderen um ihn herum schrieben, durchstrichen, vor sich hin murmelten, schrieben, ausradierten, durchstrichen und wieder schrieben. Er wartete auf ein Wunder, etwas, das blitzartig über ihn hereinbrach, eine dichterische Inspiration. Er malte das »O« in »Chaos« zu einem Rad mit Speichen aus. Er umrandete das Wort mit Kometen, kritzelte und unterstrich, seufzte und knüllte sein Blatt zusammen.
Neben ihm saß eine großmütterliche weiße Frau mit einer riesigen Brille, die versonnen auf ihrem Kugelschreiber kaute. Sie warf Joel einen Blick zu und tätschelte ihm das Knie. »Fang mit einem der anderen Wörter an, Schatz. Du musst die Liste nicht in der Reihenfolge abarbeiten, wie sie da steht.«
»Sicher?«
»Ich mache hier seit dem ersten Tag mit. Nimm das Wort, das du hier fühlen kannst«, sagte sie und tippte sich auf die Brust. »Und mach von da aus weiter. Lass einfach los! Dein Unterbewusstsein erledigt den Rest. Versuch's nur!«
Joel betrachtete sie zweifelnd, entschied dann aber, es auf ihre Art zu versuchen. Er glättete das Blatt wieder und las die Wörter einzeln. Das »Immer« schien ihn am stärksten zu berühren, also schrieb er es nieder, und dann passierte etwas Eigenartiges: Wörter häuften sich auf dieses »Immer«, und er war nur ihr Schreiber.
Sie ist im Immer gefangen. Sie fragt, warum, und die Frage schreit. Keine Antwort, Mädchen. Du hast zu lange gespielt. Keine Vergebung für den Tod in dir. Was du getan hast, wie es in Zerstörung endete. Stirb, Schlampe, und das Chaos schwindet.
Joel ließ seinen Bleistift sinken und starrte mit offenem Mund auf das, was er verfasst hatte. Ihm kam es vor, als dringe Dampf aus seinen Ohren. Er las seinen Text zweimal durch, dann weitere vier Male. Er war im Begriff, ihn verstohlen in der Jeanstasche verschwinden zu lassen, als jemand vorbeigeschlendert kam und ihm das Blatt aus der Hand zupfte. Es wurdeder Gruppe überbracht, die sich an diesem Abend freiwillig für die Juryarbeit gemeldet hatte. Sie verschwanden mit den »Du hast das Wort«-Beiträgen in einem Nebenraum, während Führt Worte statt Waffen mit weiteren Vorträgen und Kritiken fortgeführt wurde.
Joel konnte sich nicht mehr richtig konzentrieren. Er beobachtete die Tür, durch welche die Juroren hinausgegangen waren. Es kam ihm ewig vor, die Minuten zogen sich in die Länge, während er auf das Urteil über sein erstes literarisches Werk wartete. Als die Jury zurückkam, übergaben sie die Blätter Ivan Weatherall, der sie durchblätterte, überflog und zufrieden nickte.
Dann wurden die Gedichte vorgelesen, die Verfasser gaben sich zu erkennen, ernteten Beifall und nahmen eine Urkunde mit Goldschrift und einen Gutschein über einen kostenlosen Leihfilm von Apollo Video entgegen. Den dritten Platz machte die ältere Dame, die Joel mit ihrem Rat geholfen hatte, und auch sie erhielt eine Urkunde, dazu fünf Pfund und einen Gutschein über ein Curry von
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