Am Ende war die Tat
zu mir gekommen.«
Sie hatte recht, und allein dass sie Ness' Voraussicht erkannt hatte, gefiel dem Mädchen. Mit Majidahs und Sayf al Dins Hilfe hatte Ness ihre Hausaufgaben gemacht. Und auch wenn sie den ersten Teil von Fabias Frage unbeantwortet ließ - ihr Stolz verbot ihr einzugestehen, dass etwas Gutes bei ihrer gemeinnützigen Arbeit herausgekommen sein könnte -, berichtete sie ihr doch von den Kursen, die am Kensington and Chelsea College angeboten wurden. Tatsächlich hatte das College sich als wahre Fundgrube für Ness' neues Interesse erwiesen, und unter anderem wurde dort ein einjähriger, staatlich anerkannter Kurs in Hutmacherei angeboten, auf den sie, wie sie sagte, »total scharf« war.
Fabia Bender war erfreut, aber ebenso vorsichtig. Ness' Verwandlung kam so plötzlich, dass sie ihren Argwohn weckte, und sie wollte den Tag nicht vor dem Abend loben. Doch angesichts des Undanks, der ihr bei der Arbeit so oft entgegenschlug, war Fabia froh über eine Entwicklung wie diese. Eines ihrer Schäfchen unternahm von sich aus Schritte, den eingeschlagenen Weg zur Selbstzerstörung zu verlassen. Es zeigte ihr, dassihre eigene Berufsentscheidung nicht falsch und unnütz war. Ness brauchte Ansporn. Fabia gedachte, ihn ihr zu geben.
»Das ist wirklich außergewöhnlich, Vanessa«, sagte sie. »Lass uns überlegen, wie du es angehen solltest.«
Nach seiner missglückten Auseinandersetzung mit Neal Wyatt sah Joel sich in einer ausweglosen Lage. Die Bombe tickte, und er musste etwas tun, um sie zu entschärfen.
Das Verrückte an seiner Situation war, dass die Veränderung, die er einst am meisten gefürchtet hatte, jetzt diejenige war, die er am heißesten ersehnte: Wenn Toby fortgeschickt würde, um auf eine Sonderschule zu gehen, wäre er in Sicherheit. Aber da diese Lösung nicht zu erwarten war, würde Toby weiterhin in Neal Wyatts Reichweite bleiben.
Joel war in ständiger Alarmbereitschaft. Er ließ seinen Bruder nicht mehr aus den Augen, es sei denn, jemand anderer passte auf ihn auf. Als die Wochen ins Land gingen - Wochen, in denen Neal und seine Gang sich weiterhin darauf beschränkten, sie zu verfolgen, zu johlen, sie zu verhöhnen und ihnen leise Drohungen zuzuraunen -, forderte die ständige Wachsamkeit ihren Tribut. Joels schulische Leistungen fielen ab, und er hörte auf zu schreiben. Er wusste, die Dinge konnten nicht ewig so weitergehen, ohne dass seine Tante irgendwann dahinterkam und Schritte einleitete, die alles noch schlimmer machen würden.
Also musste er selbst eine Lösung finden, und es schien nur noch einen Weg zu geben, der ihm offenstand. Das Klappmesser, das er immer im Rucksack oder in der Hosentasche mit sich führte, wies ihm den Weg. Neal Wyatt war vernünftigen Argumenten nicht zugänglich, das wusste Joel. Aber auf The Blade würde er hören.
Fortan machte er sich also Tag für Tag, sobald er Toby im Lernzentrum abgeliefert hatte, auf die Suche nach The Blade. Als Erstes fragte er Ness, wo ihr Exfreund wohl zu finden sei, aber ihre Antwort war wenig hilfreich: »Was willste 'n von dem Typ?«, fragte sie. »Willste unbedingt Ärger haben?« Unddann schärfer: »Haste etwa angefangen zu kiffen? Oder zu schnüffeln?« Auf seine Beteuerungen, dass es nichts Derartiges sei, erwiderte sie: »Das will ich hoffen.« Aber das war auch schon alles. Sie wollte ihm nicht verraten, wie er The Blade finden könne. Ihr selber hatte es nichts Gutes eingebracht, ihn zu kennen, wie also könne ihr Bruder durch diese Bekanntschaft irgendetwas Positives erfahren?
Joel musste ihn folglich ohne fremde Hilfe finden. Auch Hi- bah war keine Unterstützung. Sie wusste, wer The Blade war - jeder, der in North Kensington lebte und Augen und Ohren hatte, wusste das -, aber wo er zu finden war ... In der Regel war es eher so, dass The Blade dich fand, nicht umgekehrt.
Joel hatte The Blade einmal an der Portnall Road getroffen, wo Arissa wohnte. Er nahm an, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er dort auftauchte, und da Cal Hancock seine Anwesenheit signalisieren würde, müsste Joel nicht einmal an Türen klopfen, sondern einfach nur warten, bis er Cal am Eingang des Gebäudes Wache schieben sah.
Am dritten Tag auf der Lauer hatte Joel Erfolg. Es war ein böiger Nachmittag, der den ersten Herbstregen versprach. Cal hatte die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen und zog an einem Joint von der Größe einer kleinen Banane. Er hatte sich auf den schwarz-roten Pflastersteinen ausgestreckt, seine
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