Am Ende war die Tat
Gang drangsaliert oder bedroht worden sei? Hatte es irgendwelche anderen Anzeichen gegeben, dass er Ärger hatte? Irgendwelche Probleme? Gab es irgendetwas, das Mrs. Osborne aufgefallen war?
Kendra kannte die Gesetze der Straße ebenso gut wie Joel. Trotzdem hatte sie ihn zu sich gerufen und befohlen, ihr zu sagen, was passiert war, und zwar diesmal die ganze Wahrheit. Sie fragte, ob diese Geschichte irgendetwas mit den Jungen zu tun habe, die ihm Ärger gemacht hatten.
Joel log, zumal er wusste, welche Antwort seine Tante von ihm erwartete: Das sei längst geklärt, versicherte er.
Kendra beschloss, ihm zu glauben, sodass Fabia Bender nichts weiter tun konnte, jedenfalls für den Moment. Sie verabschiedete sich und ließ Kendra allein mit ihren Neffen - und mit ihren Gedanken. Erst Ness, und jetzt dies. Sie war nicht dumm. Genau wie Fabia Bender wusste auch Kendra: Es bestand durchaus die Gefahr, dass alles noch schlimmer würde.
Sie seufzte, dann fluchte sie. Sie verfluchte Gloria Campbell für ihre Flucht nach Jamaika. Sie verfluchte Dix D'Court dafür, dass er aus ihrer aller Leben verschwunden war. Sie verfluchte das Alleinsein, das sie ersehnte, und die Komplikationen, die sie nicht wollte. Sie befahl Joel, die ganze Wahrheit zu sagen, jetzt da sie unter sich waren. Er log wieder, und wiederum klammerte sie sich an diese Lüge.
Aber sie spürte es genau, und sie fühlte sich deprimiert. Um dem etwas entgegenzusetzen, durchsuchte sie den Laden. Unter den neuesten Sachspenden war auch ein Skateboard mit einem wackligen Rad gewesen. Sie schenkte es Toby - ihre Art, sich für die immer längere Liste der Schwierigkeiten, Ängste und Enttäuschungen in seinem Leben zu entschuldigen.
Für Toby war das Skateboard ein Geschenk des Himmels. Er wollte auf der Stelle damit losfahren. Doch dazu musste es erst repariert werden, und das beschäftigte Joel und Kendra so lange, dass sie sich immer weiter von den drängenden Problemen entfernten, derer sie sich unbedingt hätten annehmen müssen. Aber genau so wollten sie es haben; deswegen hatte Joel gelogen und Kendra beschlossen, ihm zu glauben.
Als sie Cordie das nächste Mal traf, erzählte sie ihr ihre Version der Ereignisse. Sie hatte sich in einen Konflikt aus Emotionen, Bedürfnissen und Verpflichtungen verstrickt und brauchte jemanden, der die Entscheidungen guthieß, die sie traf. Als Gegenleistung für eine Schwangerenmassage, die in Cordies winzigem Wohnzimmer stattfand, lauschte Cordie der Geschichte von dem alten Boot und was dem Feuer nachgefolgt war, während ihre Töchter mit Wachsmalstiften in einem Malbuch zugange waren. Doch was Cordie schließlich sagte, war überhaupt nicht das, was Kendra zu hören erwartet hatte.
Sie bat Kendra, die Massage zu unterbrechen, setzte sich auf und wickelte das Laken um sich. Dann sah sie ihre Freundin scharf, aber nicht unfreundlich an. »Ken, ich muss dich mal was fragen«, sagte sie schließlich. »Haste schon ma' drüber nachgedacht, ob du dir da vielleicht zu viel aufgebrummt hast?«
»Was meinste 'n damit?«
»Das liegt doch auf der Hand, oder? Erst Ness, jetz' Joel. Ken, es is' schon schwer genug, Kinder großzuziehen, wenn's die eigenen sind. Es muss noch viel schwerer sein mit Kindern, die ... Ihre Gran hat sie vor deiner Tür abgeladen, verdammt noch mal. Was ich sagen will ...« Cordie geriet ins Stocken. Sie glitt vom Massagetisch und holte ihre Zigaretten, steckte sich eine an und befahl ihrer älteren Tochter, die Klappe zu halten: »Wehe, du erzählst es deinem Dad! Is' ja nur die eine Kippe, und die tut keinem weh, auch nicht dem Baby.« Sie wandte sich wieder Kendra zu, gestärkt, um deren Probleme in Angriff zu nehmen. »Die Jungs brauchen kein Skateboard«, begann sie. »Nett von dir, ihnen eins zu schenken, aber so nett es auch is', es is' nich' das, was sie brauchen, und wahrscheinlich weißte das auch.«
Kendra errötete. Sie lenkte davon ab, indem sie ihre Massageöle zuschraubte, die Duftkerzen ausblies und ihnen Luft zufächerte, damit sie schneller abkühlten und sie sie verpacken konnte.»Du willst was gutmachen, und das is' lieb von dir. Aber das is' es nich', was sie brauchen.«
Kendra fühlte sich mutlos. Cordie, die immer so leichtfertig schien mit ihrer Vorliebe für Discos und wildes Geknutsche mit zwanzigjährigen Jünglingen in dunklen Fluren und Gassen, war doch zielsicher zum Kern der Sache vorgestoßen. Und dieser Kern ging weit über Ness' versuchten Raubüberfall und die
Weitere Kostenlose Bücher