Am Ende war die Tat
Verurteilung, über Joels Verstrickung mit der ortsansässigen Gang und nun auch mit der Polizei hinaus.
»Diese Kinder brauchen Mutter oder Vater«, fuhr Cordie fort. »In einer idealen Welt, die's heutzutage aber so gut wie nich' mehr gibt, sollten Kinder beide Elternteile haben ...«
»Ich versuch ...«
»Weißte, Ken, das Wichtigste is': Nichts zwingt dich, es zu versuchen. Es is' keine Schande, dir einzugestehen, dass es einfach zu viel für dich is', verstehste? Es is' nich' jedem gegeben, Kinder großzuziehen, und es is' kein Verbrechen, sich das ein- zugesteh'n. Ich finde, nur weil eine Frau die nötigen Organe hat, is sie ja nich' gezwungen, sie auch zu benutzen.«
Das schmerzte aus Gründen, die nichts mit den Campbell-Kindern zu tun hatten. Kendra erinnerte ihre Freundin: »Ich hab die Organe noch nicht einmal.«
»Womöglich gibt's dafür 'nen Grund, Ken.«
Kendra musste zugeben, dass sie darüber schon mehrfach nachgedacht hatte, seit ihr die Campbell-Kinder aufgezwungen worden waren. Doch sie hatte es noch nie ausgesprochen. Hätte sie das getan, glaubte sie, wäre das ein so schrecklicher Verrat gewesen, dass sie es nie wieder hätte gutmachen können. Es hieße, für die Kinder eine zweite Glory zu werden. Eigentlich noch schlimmer als Glory.
»Ich muss das durchziehen, Cordie«, sagte sie. »Ich muss einen Weg finden. Ich könnte diese Kinder niemals abschieben ...«
Cordie unterbrach sie: »Das verlangt ja auch niemand. Aber du musst was unternehm', und das hat nix mit 'nem Skateboard zu tun.«
Kendras Möglichkeiten waren nicht übermäßig zahlreich. Tatsächlich schien sie eigentlich überhaupt keine zu haben. Also ging sie zum Falcon. Sie entschied sich ganz bewusst für diesen Treffpunkt, nicht für den Sportclub, denn dieses Mal wollte sie mehr Privatsphäre. Sie wusste, sie war berechnend, aber sie sagte sich, dass es Dinge zu bereden gäbe und sie einen ruhigen Ort dafür brauchte. Und ruhig war der Sportclub nun wirklich nicht. Der Falcon - oder vielmehr das Apartment darüber - hingegen schon.
Dix war nicht da. Doch einer seiner Mitbewohner war zu Hause und schickte Kendra zum Rainbow Café. Dix helfe dort seiner Mutter aus. Schon seit drei Wochen. Er habe beim Bodybuilding eine Pause einlegen müssen.
Kendra nahm an, Dix habe sich beim Training verletzt und müsse sich auskurieren. Doch als sie zum Rainbow Café kam, erfuhr sie, dass die Dinge ein wenig anders lagen. Sein Vater hatte dort, im Restaurant, einen Herzinfarkt erlitten, schlimm genug, um seiner Frau und seinen Kindern Angst einzujagen. Deswegen hatten sie darauf bestanden, dass er dem ärztlichen Rat folgte: fünf Monate Ruhe und keinen Tag weniger, Mr. D'Court. Der Patient, der erst zweiundfünfzig war, hatte selber einen ausreichend großen Schreck bekommen, um zu gehorchen. Doch das bedeutete, dass irgendjemand seinen Platz am Herd einnehmen musste.
Das Rainbow Café bestand aus einem L-förmigen Bereich mit Tischen und Stühlen entlang der Wand und der Fensterfront sowie einer Theke mit altmodischen Drehhockern. Als Kendra eintrat, schritt sie auf diese Theke zu. Es war keine Essenszeit, und Dix war damit beschäftigt, den Kochbereich hinter dem Tresen mit einem Metallkratzer zu reinigen, während seine Mutter Papierservietten in die Spender steckte, die sie von den Tischen eingesammelt hatte. Salz- und Pfefferstreuer standen auf einem Tablett vor ihr aufgereiht.
Der einzige Gast war eine ältere Frau, der einzelne graue Haare am Kinn wuchsen. Obwohl es im Café warm war, trug sie einen Tweedmantel. Ihre Strümpfe waren auf die Knöchelhinabgerutscht, und ihre Füße steckten in klobigen Halbschuhen. Sie döste über einer Tasse Tee und einem Teller weißer Bohnen auf Toast. Kendra kam sie vor wie eine Vision dessen, was aus einem werden konnte - ein erschütternder Anblick.
Als Dix' Mutter Kendra entdeckte, erkannte sie sie sofort wieder, obwohl sie sich erst ein Mal begegnet waren. Sie vergegenwärtigte sich die Situation, wie jede kluge Mutter es getan hätte, und was sie sah, gefiel ihr nicht.
»Dix«, sagte sie und nickte in Kendras Richtung. Dix nahm an, er solle eine Bestellung aufnehmen, und wandte sich um, doch als er sah, wer ihn besuchte, stieß er hörbar die Luft aus.
Die Trennung von Kendra war nicht leicht für ihn gewesen. Zu tief waren seine Gefühle für sie. Er verabscheute diesen Umstand, aber er hatte gelernt, ihn zu akzeptieren. Er wusste nicht, wie er es nennen sollte. Liebe, Lust
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