Am Ende war die Tat
während sein Kollege mit der Hand aufs Dach schlug, um anzuzeigen, dass sie abfahren konnten.
Diese beiden Beamten hatten viel zu viele amerikanische Krimiserien im Fernsehen gesehen, dachte Joel. Leise sagte er zu seinem schluchzenden Bruder: »Nich' weinen, Tobe. Wir klär'n das alles.« Er sah Dutzende Gesichter, die sie von draußen anstarrten, doch er zwang sich, den Kopf hochzuhalten - nicht um stolz zu wirken, sondern um Ausschau nach dem einzigen Zuschauer zu halten, der von Bedeutung war. Doch selbst hier oben in der Menschenmenge, die die Straße säumte, war von Neal Wyatt keine Spur.
Auf der Polizeiwache an der Harrow Road wurden Joel und Toby in ein überheiztes Verhörzimmer geführt, wo vier Stühle - je zwei auf beiden Seiten eines Tisches - am Boden verschraubt waren. Ein großer Kassettenrekorder und ein Stapel Blätter lagen dort bereit. Die Jungen wurden angewiesen, sich zu setzen, und nahmen folgsam Platz. Die Tür schloss sich, wurde jedoch nicht abgesperrt. Joel entschied, das als hoffnungsvolles Zeichen zu werten.
Toby hatte aufgehört zu weinen, aber es brauchte nicht viel, und er würde wieder loslegen. Seine Augen waren immer noch weit aufgerissen, und seine Finger hatten sich in Joels Hosenbein gekrallt.
»Ich hab mich versteckt«, flüsterte Toby. »Aber die ha'm mich trotzdem gefunden. Joel, was meinste, wie die mich gefunden ha'm? Weil ich doch versteckt war?«
Joel wusste nicht, wie er es seinem Bruder erklären sollte. »Du hast getan, was ich dir gesagt hab, Tobe. Das war echt gut.«
Kurz darauf trat Fabia Bender durch die Tür. Sie kam in Begleitung eines stämmigen schwarzen Mannes in einem dunklen
Anzug. Sie stellte zuerst sich selbst, dann den Mann vor, Detective Sergeant August Starr. Sie würden nun damit beginnen, die Personalien der Jungen aufzunehmen, erklärte sie, weil man ihre Eltern kontaktieren müsse.
Da sie diesen beiden Campbells noch nie begegnet war, zog sie routinemäßig den Block zu sich heran, nachdem sie und Starr Platz genommen hatten. Sie wollte schon den Kugelschreiber aufsetzen, als Joel ihr ihre Namen nannte. »Seid ihr Vanessas Brüder?«, fragte sie, und als Joel nickte: »Ich verstehe.«
Sie starrte auf den Block hinab und tippte nachdenklich mit dem Stift darauf. Sergeant Starr warf ihr einen verwunderten Blick zu. Dies war für gewöhnlich nicht der Moment, da Fabia Bender zögerte. Er fragte die Jungen: »Wie heißen eure Eltern? Und wo sind sie?«
»Mummy ist im Krankenhaus«, tat Toby kund, ermuntert von dem freundlichen Tonfall, den die beiden Erwachsenen angeschlagen hatten. Er war unfähig zu begreifen, dass dieser freundliche Tonfall dazu dienen sollte, ihnen Informationen zu entlocken, nicht Freundschaft anzubieten, ganz gleich wie nötig diese Kinder einen Freund brauchten. »Sie pflanzt manchmal Blumen. Sie spricht mit Joel, aber nich' mit mir. Ich hab mal ihren Schokoriegel aufgegessen.«
»Wir wohnen bei ...«
Fabia Bender schaltete sich ein: »Sie leben bei einer Tante, August. Ich arbeite seit einigen Monaten mit der Schwester der Jungen.«
»Probleme?«
»Sozialstunden. Erinnerst du dich, das Mädchen, das gleich hier gegenüber einen Straßenraub versucht hat.«
Starr seufzte. »Habt ihr keinen Vater?«
»Dad is' vor dem Schnapsladen erschossen worden«, teilte Toby ihm mit. »Da war ich noch klein. Wir ha'm dann erst bei unserer Gran gewohnt, aber die is' jetz' in Jamaika.«
»Tobe«, stoppte Joel ihn. Die Überlebensstrategie, die er ver- innerlicht hatte, war simpel. Mit den Cops zu reden, gehörte nicht dazu. Sie meinten es nicht gut - sie hatten die Seiten ge-wechselt, und was sie mitgenommen hatten, war ihr Wissen darüber, wie das Leben wirklich war. Joel musste DS Starr nur ansehen - und das galt auch für Fabia Bender -, um zu erkennen, dass die Geschichte für sie ganz einfach war: Dass Gavin Campbell tot war, war schließlich typisch für einen Schwarzen. Er hatte das getan, was Schwarze nun mal taten: Schießereien, Messerstechereien, Prügeleien oder jede erdenkliche andere Methode, um einander wegen Drogengeschäften den Garaus zu machen.
Auch wenn Joel Toby zum Schweigen gebracht und nicht die Absicht hatte, selbst noch etwas zu sagen, verfügte Fabia Bender doch über alle Informationen, die sie brauchte. Also lehnte sie sich auf ihrem Stuhl zurück, um ihrer Aufgabe nachzukommen: nämlich das Verhör zu überwachen, das August Starr führen würde.
Joel und Toby ahnten nicht, welch großes Glück
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