Am Ende war die Tat
hineingerufen wurde. Er nahm seine Gedichte und redete sich ein, einen Freund zu missbrauchen, sei nicht so schlimm, wenn das Ziel ein hehres war.
Ivan saß nicht wie sonst am Tisch, sondern stand an einem der Fenster und schaute hinaus in den grauen Januartag: kahle Bäume, nasse Erde, nackte Büsche, trüber Himmel. Als Joel eintrat, wandte er sich um.
Joel wusste, er musste irgendetwas tun, um eine Brücke zu schlagen zwischen Kendras Anruf bei der Polizei und diesem Moment hier. Er entschuldigte sich bei Ivan, sagte, es tue ihm leid, was passiert sei, und Ivan nahm die Entschuldigung an, wie es seine Art war. Es sei vor allem peinlich gewesen, gestand er. Am ersten Abend von Joels Abwesenheit habe er den Drehbuchkurs gehabt, am zweiten sei er mit seinem Bruder zum Essen verabredet gewesen, sodass er also »mit einem Überfluss an Alibis gesegnet« gewesen sei, wie er es sarkastisch ausdrückte. Aber er wolle Joel nichts vorlügen: Es sei höchst beschämend und erschütternd gewesen, über seinen Tagesablauf Rechenschaft ablegen zu müssen und die Polizei zu einer Hausdurchsuchung bei sich daheim zu haben, weil sie auf Hinweise hofften, dass Joel dort gefangen gehalten worden sei oder Schlimmeres. »Meine Nachbarn waren davon nicht gerade angetan«, erklärte Ivan. »Obwohl ich es wahrscheinlich als Auszeichnung auffassen sollte, für einen Serienmörder gehalten worden zu sein.«
Joel zuckte zusammen. »Tut mir leid. Ich wäre ... Ich hätt nie geglaubt, dass sie das tut... Tante Ken is' einfach ausgerastet, Ivan. Sie hat in der Zeitung über diese ermordeten Kids gelesen, diese Jungs, die so alt war'n wie ich, und da dachte sie ...«
»... an mich. Logisch, nehme ich an, wenn man es nüchtern betrachtet.«
»Das war kein bisschen logisch. Mann, es tut mir echt leid, dass das passiert is', okay?«
»Ich habe das vollständig verarbeitet«, versicherte Ivan.
»Möchtest du mir sagen, wo du diese beiden Nächte verbracht hast?«
Das wollte Joel definitiv nicht. Es sei nichts gewesen, versicherte er. Ivan könne ihm ruhig glauben. Es habe nichts mit irgendwelchen kriminellen Machenschaften zu tun gehabt, mit Drogen, Waffen oder Überfällen. Während er sprach, holte er seine Gedichte hervor. Er sagte, er habe geschrieben. Er wusste, das würde Ivan von den beiden Nächten, die Joel verschwunden gewesen war, ablenken. Er wisse selbst, dass die Gedichte nicht besonders gut seien, bekannte er, und er habe sich gefragt, ob Ivan sie sich wohl einmal ansehen würde ...
Ivan stürzte sich darauf wie ein hungriger Löwe auf rohes Fleisch. Die Tatsache, dass Joel geschrieben hatte, hielt Ivan fälschlicherweise für den Beweis, dass es für seinen jungen Freund noch nicht zu spät war.
Er setzte sich an den Tisch, zog die Blätter zu sich heran und begann zu lesen. Die Stille im Raum schien so erwartungsvoll, wie Joel sich fühlte.
Er hatte sich eine Ausrede zurechtgelegt, warum seine Gedichte so schlecht waren: Er habe kein stilles Plätzchen zum Schreiben, wollte er vorbringen, falls Ivan den Qualitätsverfall seiner Arbeit zur Sprache brachte. Toby hockte ewig vor der Glotze, Ness telefonierte, das Radio lief und oben trieben Tante Ken und Dix es wie die Karnickel... Nicht gerade die Ruhe, die nötig war, damit Inspiration sich in Worte verwandeln konnte. Aber bis die Dinge zu Hause sich änderten - was bedeutete, bis sein Hausarrest zumindest gelockert wurde -, war dies wohl das Beste, was er zustande bringen würde.
Ivan schaute auf. »Diese Gedichte sind miserabel, mein Freund.«
Joel ließ niedergeschlagen die Schultern sinken. »Ich hab versucht, sie irgendwie zu verbessern, aber wahrscheinlich gehör'n sie einfach nur in die Tonne.«
»Nun, lass uns nicht gleich das Kind mit dem Bade ausschütten«, wandte Ivan ein und las sie noch einmal. Doch am Ende der Lektüre sah er noch skeptischer aus. Er stellte die Frage,auf die Joel gewartet hatte: Was, glaubte Joel, habe sein Werk so radikal verändert?
Joel arbeitete die Liste seine vorbereiteten Ausreden ab. Er machte keinerlei Vorschläge, wie man die Situation ändern könne, und das musste er auch nicht, war Ivan aufgrund seiner Erziehung und Persönlichkeit doch geradezu darauf programmiert, diese Vorschläge selbst zu unterbreiten: Ob Joels Tante sich wohl bereitfinden werde, Joels Hausarrest teilweise aufzuheben, damit er wieder zu Führt Worte statt Waffen kommen könne?
Joel schüttelte den Kopf. »Keine Chance, das kann ich sie nich' fragen.
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