Am Ende war die Tat
ging dann an den Tresen, um seine Bestellung aufzugeben. Joel wollte nur Orangensaft. Der würde aus einer Dose kommen und nach Blech schmecken, aber er hatte ohnehin nicht die Absicht, ihn zu trinken.
In einer Ecke döste Drunk Bob in seinem Rollstuhl vor sich hin. Ansonsten waren keine Gäste in dem Lokal. Während Ivan auf seine Bestellung wartete, faltete er die Zeitung auseinander. Joel konnte einen Teil der Schlagzeilen entziffern: »Überwachungskamera« und »Fernsehfahndung Crimewatch«. Die Polizei hatte sich also die Aufnahmen der Videokameras von dem großen Platz und der näheren Umgebung des Tatorts besorgt. Und diese Mitschnitte sollten nun im Fernsehen gezeigt werden.
Das war nicht weiter überraschend. Jedes Überwachungsvideo, das zeigte, wie eine weiße Frau in einer feinen Londoner Gegend vor ihrer Haustür angeschossen wurde, hatte gute Chancen, es ins Fernsehen zu schaffen - erst recht wenn es sich bei dem Opfer um die Frau eines Scotland-Yard-Detectives handelte, der in einem großen Fall ermittelte.
Es gab nur zwei Dinge, auf die Joel hoffen konnte: dass die Videos aus zu großer Entfernung aufgenommen waren und ihre Qualität zu schlecht war, um jemanden zu erkennen, und dass die Fernsehsendung für die Bewohner North Kensingtons von geringem oder überhaupt keinem Interesse war.
Ivan brachte ihre Getränke an den Tisch und warf die Zeitung auf einen freien Stuhl. Er rührte Zucker in seinen Kaffee. »Wer hätte gedacht, dass es möglich ist, mit Abfall ein Vermögen zu machen? Und dass diese Person dann auch noch willens sein soll, dieses Vermögen zu teilen ...« Ivan legte die Hände um seinen Kaffeebecher, und erst als er fortfuhr, wurde Joel klar, dass er nicht von einem Zeitungsartikel sprach. »Wenn ein Mann sich seiner Wurzeln besinnt, kann er viel Gutes tun, mein Freund. Wenn er den Menschen, die er zurückgelassen hat, nicht den Rücken kehrt ... So wie Mr. Rubbish uns nicht den Rücken kehrt, Joel.«
Joel bemühte sich, nicht zu der Zeitung hinüberzuspähen, aber der Standard war in der Mitte gefaltet und mit der oberen Hälfte nach unten gelandet. Die Schlagzeilen waren verdeckt, aber der Rest der Titelseite war gut zu sehen und wirkte wie der Gesang einer Sirene: absolut unwiderstehlich, nur dass Joel dasaß und keinen Schiffsmast hatte, an dem er sich hätte festbinden können. Was er sah, waren ein Foto und einige Zeilen des Artikels darunter. Er saß zu weit weg, um die Schrift entziffern zu können, aber mit dem Foto verhielt es sich anders: Ein Mann und eine Frau lehnten an einem Geländer und lächelten in die Kamera, Champagnergläser in den erhobenen Händen. Der Mann war gut aussehend und blond, die Frau attraktiv und brünett. Zusammen sahen sie aus wie aus einer Reklame für Kreuzfahrten, und im Bildhintergrund glitzerte das ruhige Wasser einer Bucht unter einem wolkenlosen blauen Himmel. Joel wandte den Blick ab und versuchte, Ivan zuzuhören.
»... nennt sich Mr. Rubbish. Anscheinend ist es ein ganz simples System, das Großstädte in aller Welt übernommen haben. Es geht irgendwie um computergesteuerte Förderbänder oder so etwas Ähnliches, wo der ganze Müll getrennt wird, sodass die Leute sich gar nicht selbst mit dem Thema Recycling befassen müssen. Damit hat er ein Vermögen gemacht, und jetzt ist er gewillt, einen Teil davon dorthin zurückzugeben, woher er kommt. Und wir sind eines seiner guten Werke. Er will uns jetzt und in Zukunft fördern. Was sagst du dazu?«
Joel besaß genug Geistesgegenwart, um zu nicken. »Is' ja irre.«
Ivan legte den Kopf schräg. »Das ist alles, was dir zu zwei- hundertfünfzigtausend Pfund einfällt? Irre?«
»Cool, Ivan. Adam und die andern werden bestimmt total ausrasten.«
»Und du nicht? Du gehörst doch dazu. Wir brauchen jeden, den wir finden können, um an dem Projekt mitzuarbeiten, wenn wir es wirklich realisieren wollen.«
»Ich kann kein' Film machen.«
»Was für ein Unsinn. Du kannst schreiben. Du kannst aufeine Art und Weise mit Sprache umgehen, die andere Menschen ... Hör mich an!« Ivan rückte mit seinem Stuhl näher an Joel heran und sprach mit großer Ernsthaftigkeit, wie er es immer tat, wenn er glaubte, dass er seinen Standpunkt mit Nachdruck vertreten musste. »Ich erwarte ja gar nicht, dass du in dem Film mitspielst oder hinter der Kamera stehst oder irgendetwas tust, was du nicht bereits gewohnt bist. Aber wir brauchen dich beim Drehbuch ... Nein, warte. Hör mir zu. Im Moment tendieren die
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