Am Ende war die Tat
war so grundverschieden von allem, was Joel gewöhnt war, dass er zuerst glaubte, Ivan Weatherall mache sich über ihn lustig. Er verwendete Ausdrücke wie »ganz recht«, »was du nicht sagst«, »schlechterdings« oder »heureka«, und hinter seiner Nickelbrille sahen seine blauen Augen unverwandt in Joels, als warte er auf eine Reaktion. Statt seinen Blick zu erwidern, sah Joel jedoch meist weg.
Ivan begann ihre Bekanntschaft mit einem formvollendeten Diener und den Worten: »Ivan Weatherall, zu Diensten. Ich habe dich noch nie in unserem Viertel gesehen. Es ist mir eine Freude, dich kennenzulernen. Wollen wir flanieren, oder ist Verbleib dein Begehr?«
Auf diese bizarre Eröffnung fiel Joel keine Antwort ein. Er war sicher, der Mann nehme ihn auf den Arm.
Ivan fuhr fort: »Dann werde ich die Entscheidung fällen. Da Regen in Aussicht steht, schlage ich vor, wir bedienen uns der zur Verfügung stehenden Sitzmöbel.« Mit diesen Worten führte er Joel in ein kleines Büro, ließ sich auf einem roten Plastikstuhl nieder und klemmte die Füße hinter die Vorderbeine.
»Du bist erst seit relativ kurzer Zeit ein Bewohner unseres kleinen Eckchens der Welt, wenn ich rechtens informiert bin?«, fragte er. »Deine Residenz befindet sich ... wo? Eine der Siedlungen, nehme ich an? Welche?«
Joel sagte es ihm, ohne den Blick von Weatheralls Händen zu heben, die in seinem Schoß lagen und mit der Gürtelschnalle spielten.
»Ah, Mr. Goldfingers grandioses Gebäude«, lautete Ivans Erwiderung. »Wohnst du in diesem kuriosen Bauwerk?«
Joel nahm richtigerweise an, dass er vom Trellick Tower sprach, und schüttelte den Kopf.
»Bedauerlich«, sagte Ivan Weatherall. »Ich wohne selbst in der Nähe und wollte dieses Gebäude immer schon einmal erkunden. Mir erscheint es stets ein wenig grimmig - nun, was kann man schon mit Beton errichten, was nicht wie eine Haftanstalt aussieht, hab ich nicht recht? - und dennoch, diese Brücken ... Stockwerk um Stockwerk von Brücken ... Sie sagen etwas aus. Nichtsdestotrotz könnte man sich wünschen, die Londoner Wohnungsnot der Nachkriegszeit wäre in einer optisch ansprechenderen Weise gelöst worden.«
Joel hob den Kopf und riskierte einen Blick auf Ivan, immer noch nicht sicher, ob der ihn nicht verschaukelte. Ivan betrachtete ihn mit zur Seite geneigtem Kopf. Er hatte seine Position während seines einleitenden Monologs verändert und sich zurückgelehnt, sodass der Stuhl nur noch auf den Hinterbeinen stand. Als ihre Blicke sich trafen, gab Ivan Joel einen freundlichen, kleinen Salut. »Entre nous, Joel«, vertraute er ihm verschwörerisch an, »ich gehöre zu der Sorte, die man gemeinhin als englischen Exzentriker bezeichnet. Völlig harmlos, aber äußerst gut geeignet für Dinnerpartys, wenn Amerikaner unter den Gästen sind, die unbedingt mal einen echten Engländer kennenlernen wollen.« Die seien schwierig genug zu finden, fuhr er fort, besonders in seinem Viertel, wo die kleinen Häuser mehrheitlich von algerischen, pakistanischen, portugiesischen, griechischen und chinesischen Großfamilien bewohnt würden. Er selbst lebe allein, habe nicht einmal einen Wellensittich, der ihm Gesellschaft leiste, aber er wolle es nicht anders haben, denn so habe er ausreichend Zeit und Platz, um seinen Hobbys nachzugehen. Jeder Mensch brauche ein Hobby, erklärte er, ein kreatives Ventil, durch welches die
Seele sich Ausdruck verschaffen könne. »Hast du eines?«, erkundigte er sich.
»Ein was?«
»Ein Hobby. Ein Bestreben, welches deine Seele bereichert und außerhalb deiner Pflichten liegt?«
Joel schüttelte den Kopf.
»Verstehe. Nun, vielleicht finden wir eines für dich. Das erfordert natürlich, dass ich dir ein wenig auf den Zahn fühle, wofür ich um deine größtmögliche Kooperation ersuche. Siehst du, Joel, wir sind Kreaturen, die aus Teilen bestehen - körperlichen, geistigen, spirituellen, emotionalen und psychologischen Teilen. Darin ähneln wir Maschinen, könnte man beinahe sagen, und jeder Mechanismus, der uns zu dem macht, was wir sind, braucht regelmäßige Wartung, wenn wir effizient und mit optimaler Leistung funktionieren sollen. Du, zum Beispiel: Was willst du einmal mit deinem Leben anfangen?«
Diese Frage war Joel noch niemals gestellt worden. Natürlich wusste er, was er mit seinem Leben anfangen wollte, aber er war zu verlegen, um es diesem Mann anzuvertrauen.
»Nun, dann wird dies ein Teil dessen sein, wonach wir suchen«, verkündete Ivan. »Deine
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