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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Innern des Gebäudes weiter hätte meiden können.
    Der Fernsehraum lag am Ende des Flurs. Als Joel die Tür öffnete, sprang Gestank sie an: Irgendjemand hatte an den Thermostaten der Heizkörper gespielt, und die mörderische Hitze, die dies zur Folge hatte, hatte die Gerüche ungewaschener Körper, voller Windeln und schlechten Atems regelrecht eingekocht. Toby blieb wie angenagelt auf der Schwelle stehen, dann versteifte er sich, machte einen Schritt rückwärts und stieß dabei gegen Genera. Der Gestank wirkte auf ihn wie Riechsalz, holte ihn grob aus dem sicheren Rückzugsort seiner Fantasie zurück in die Realität. Plötzlich war er im Hier und Jetzt, und er blickte über die Schulter, als erwäge er eine Flucht.
    Sanft schob Genera ihn in den Raum. »Ist schon gut«, sagte sie. Aber sie konnte ihm ob seines Zauderns keinen Vorwurf machen. Sie empfand das Gleiche wie er.
    Niemand sah in ihre Richtung. Im Fernsehen lief ein Golfturnier, und mehrere Personen saßen gebannt vor dem Bildschirm und verfolgten das eher spannungsarme Geschehen. Vier weitere Patienten saßen an einem Klapptisch über einem großen Puzzle, während sich an einem anderen Tisch zwei alte Damen über etwas beugten, das wie ein uraltes Hochzeitsalbum aussah. Drei weitere Personen - zwei Männer und eine Frau - schlurften stumpf die Wand entlang, und eine Person von undefinierbarem Geschlecht saß in einem Rollstuhl in der Ecke und rief mit schwacher Stimme: »Ich muss pissen, verdammt noch mal.« An der Wand über dem Rollstuhl hing ein Poster mit der Aufschrift: »Wenn das Leben dich aus der Bahn wirft, beschreite neue Pfade.« Gleich daneben hockte ein langhaariges Mädchen auf dem Fußboden und weinte stumm.
    Nur eine einzige Person im Raum war bemerkenswert arbeitsam. Sie schrubbte auf Händen und Knien den Fußboden gleich hinter dem Puzzletisch und arbeitete sich von der Ecke in den Raum vor. Weder Eimer, Schrubber noch Wischmopp erleichterten ihr die Arbeit. Mit nackten Fingerknöcheln fuhr sie in weit ausholenden Bogen wieder und wieder über das PVC.
    Joel erkannte seine Mutter an ihrem rötlichen Haar, das seinem ähnelte. »Da ist sie«, flüsterte er und zog Toby in ihre Richtung.
    »Sie spielt heute den Putzteufel«, erklärte eine der Puzzledamen. »Macht hier alles schön sauber und ordentlich. Carole, du hast Besuch, Liebes.«
    »Die macht noch den ganzen Fußboden kaputt«, warf einer ihrer Mitstreiter ein. »Und sag ihr, sie soll dem Jungen die Nase putzen.«
    Joel blickte zurück auf Toby. Die Oberlippe des kleinen Jungen war nass und glänzend. Genera griff in die Tasche, auf der Suche nach einem Taschentuch, das sie nicht hatte, während Joel sich im Raum nach etwas umsah, womit er Toby präsenta- bel machen konnte - vergebens. Ihm blieb nichts anderes übrig, als seinen Hemdzipfel zu nehmen, den er anschließend in den Hosenbund stopfte.
    Genera trat zu Carole Campbell, die immer noch am Boden kniete, und überlegte, wann sie sie zum letzten Mal gesehen hatte. Es musste etliche Monate her sein. Oder vielleicht noch länger, im Frühling des vergangenen Jahres, wegen der Blumen, des Wetters und der Tatsache, dass sie sich im Freien aufgehalten hatten. Seither war Genera einfach immer zu beschäftigt gewesen. All ihre Projekte und Verpflichtungen hatten sie von diesem Ort ferngehalten.
    Joel hockte sich neben seine Mutter. »Mum? Wir ha'm dir 'ne Zeitschrift mitgebracht. Ich und Toby und Tante Genera. Mum?«
    Carole Campbell setzte ihre sinnlose Reinigungsaktion fort, fuhr in großen Halbkreisen über den stumpfen grünen Boden. Joel legte die Elle vor sie hin. »Guck mal«, sagte er. »Die is' ganz neu, Mum.«
    Die Zeitschrift sah schon ein bisschen mitgenommen aus; Joel hatte sie auf dem Weg vom Bahnhof hierher zusammengerollt, und die Ecken verbogen sich in einer Weise nach oben, die schon Ähnlichkeit mit Eselsohren hatte. Ein Handabdruck verunzierte das Gesicht des Covergirls. Doch der Anblick der
    Zeitschrift ließ Carole in ihrer Arbeit innehalten. Sie betrachtete das Titelbild, und ihre Hände wanderten zu ihrem eigenen Gesicht, zu den Zügen, die sie zu dem machten, was sie war: eine Mischung aus japanischen, irischen und ägyptischen Genen. Sie verglich ihre eigene ungepflegte, ungewaschene Erscheinung mit der makellosen Gestalt auf dem Bild. Dann blickte sie zu Joel und weiter zu Genera. Toby war an Joels Seite in Deckung gegangen.
    »Wo ist mein Aero?«, fragte Carole. »Ich krieg immer ein orangenes Aero,

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