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Am Ende war die Tat

Am Ende war die Tat

Titel: Am Ende war die Tat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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Joel.«
    »Hier haben wir's schon, Carole.« Hastig zog Genera es aus der Tüte. »Die Jungen haben es dir bei H. W. Smith gekauft, als sie die Elle ausgesucht haben.«
    Doch Carole ignorierte sie, und auch der Schokoriegel war schon vergessen. »Wo ist Ness?«, fragte sie und schaute sich um. Ihre Augen waren graugrün, ihr Blick schien unfokussiert. Sie befand sich im Niemandsland zwischen medikamentösem Phlegma und unheilbarer Apathie.
    »Sie wollt nich' mitkomm'«, verkündete Toby. »Sie hat eine Hello! mit Tante Kendras Geld gekauft, sodass ich keinen Schokoriegel mehr haben konnte, Mum. Wenn du dein Aero nich' wills', nehm ich ...«
    »Die fragen mich die ganze Zeit«, unterbrach Carole. »Aber ich will nicht.«
    »Was willst du nicht?«, fragte Joel.
    »Die blöden Puzzles machen.« Sie deutete kurz zu dem Tisch hinüber und fügte dann verschwörerisch hinzu: »Es ist ein Test. Die meinen, ich merk das nicht, aber von wegen! Die wollen wissen, was in meinem Unter... meinem Unterbewusstsein los ist, und so wollen sie das rauskriegen, und darum mach ich keine Puzzles. Ich sag ihnen, wenn sie wissen wollen, was in meinem Kopf los ist, warum fragen sie mich nicht direkt? Warum werde ich nicht von dem Doktor untersucht? Joel, eigentlich sollte ich einen Termin pro Woche bei dem Doktor haben. Warum kommt der nie?« Ihre Stimme hatte sich erhoben, und sie drückte die Zeitschrift an die Brust. Joel spürte, wie Tobyan seiner Seite zu beben begann. Er sah hilfesuchend zu Genera, doch die starrte Carole lediglich an, als handele es sich um eine Laborratte.
    »Ich will den Doktor sprechen!«, schrie Carole. »Ich hab ein Recht darauf, ihn zu sprechen, das weiß ich genau!«
    »Du hast ihn gestern doch gesprochen, Carole«, teilte die erste Puzzledame ihr mit. »Wie immer, einmal pro Woche.«
    Caroles Gesicht verdüsterte sich. Ein Ausdruck, in dem Joel und Genera für einen Augenblick Toby erkennen konnten, wenn er sich aus der Wirklichkeit zurückzog, huschte über Caroles Gesicht. Dann sagte sie: »Ich will nach Hause. Joel, sprich mit deinem Vater! Jetzt gleich. Er hört auf dich, und du musst ihm sagen ...«
    »Gavin ist tot«, ging Genera dazwischen. »Begreifst du das? Er ist seit vier Jahren tot.«
    »Frag ihn, ob ich nicht nach Hause kommen darf, Joel. Es wird nicht wieder passieren. Ich hab es jetzt verstanden. Damals noch nicht. Es war einfach zu viel... hier oben. Zu viel... zu viel ... zu viel ...« Sie hatte die Zeitschrift ergriffen und schlug sich damit an die Stirn. Einmal, zweimal, und bei jedem »zu viel« fester.
    Joel sah flehend zu Genera, doch die war selber zu entsetzt, um ihm zu helfen. Sie wollte nur so schnell wie möglich verschwinden, ehe die Situation vollends eskalierte. Nicht dass noch kein Schaden entstanden wäre. Aber plötzlich hatte sie genug von alldem, wollte, dass das Schicksal, Karma, die Vorsehung oder wie immer man es nennen wollte, sie und die Kinder in Zukunft verschonte.
    Obwohl er es nicht in Worte hätte kleiden können, erkannte Joel am Ausdruck, an der Haltung und am Schweigen seiner Tante, dass er diesen Besuch bei seiner Mutter allein durchstehen musste. Keine Krankenschwester, kein Pfleger war in der Nähe, und selbst wenn einer plötzlich den Raum betreten hätte ... Carole tat ja nichts, womit sie sich hätte verletzen können. Und schon als sie zum ersten Mal hier gelandet war, hatte man ihnen klipp und klar gesagt: Nur wenn die Patientin im
     

Begriff war, sich körperlichen Schaden zuzufügen, werde das Personal einschreiten, aber es gebe hier niemanden, der sie vor dem, was sie selbst ihrer Seele antat, schützen könne.
    Joel versuchte, das Thema zu wechseln. »Toby hat bald Geburtstag, Mum. Er wird acht. Ich weiß noch nich', was ich ihm schenken soll. Ich hab nicht viel Geld. Aber ein bisschen was schon. Ungefähr acht Pfund hab ich gespart. Ich hab gedacht, Gran würd vielleicht Geld schicken, und dann könnt ich ...«
    Seine Mutter umklammerte seinen Arm. »Sprich mit deinem Vater«, fauchte sie. »Versprich mir, dass du mit deinem Vater sprichst. Ich muss nach Hause. Verstehst du mich?« Sie zog Joel näher, und ihr Geruch stieg ihm in die Nase: ungewaschener Körper, ungewaschene Haare. Er gab sich die größte Mühe, nicht zurückzuzucken.
    Toby hingegen wich zurück und prallte dabei gegen seine Tante. »Könn' wir jetz' nach Hause? Joel? Könn' wir geh'n?«
    Das schien Carole aus ihrem seltsamen Wachtraum zu reißen. Plötzlich nahm sie Toby und

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