Am Ende war die Tat
vermutlich ohne zu zögern zurückschlagen würde.
»Normalerweise führt es zum Erfolg, wenn Konsequenzen aufgezeigt werden«, sagte er. »Wären Sie einverstanden, wenn ich einige vorschlage, die Sie ausprobieren könnten?«
Er zählte sie mitsamt den möglichen Folgen auf: das Mädchen zur Schule zu fahren und zur ersten Stunde zu eskortieren und sie so vor all den anderen Schülern in eine peinliche Situation zu bringen, die sie kein zweites Mal erleben wollte. Privilegien zu entziehen, wie beispielsweise Fernsehen oder Telefonieren. Hausarrest. Internat. Einen Therapeuten hinzuzuziehen, um den Problemen auf den Grund zu gehen.
Die Drohung, sie zu jeder einzelnen Schulstunde zu eskortieren ... Kendra konnte sich nicht vorstellen, dass ihre Nichte auch nur auf eine dieser aufgezählten Konsequenzen anders als mit einem Achselzucken reagieren würde. Ebenso wenig konnte sie sich vorstellen, dass es irgendeinen anderen Weg gab, das Mädchen von der Wichtigkeit des Schulbesuchs zu überzeugen, außer vielleicht, sie mit Handschellen an die Schulbank zu fesseln. Zu viel war dem Mädchen im Laufe der Jahre genommen worden, und niemand hatte ihr im Gegenzug irgendetwas entgegengebracht. Man konnte Ness wohl kaum davon überzeugen, dass ausgerechnet Bildung wichtig war, nachdem man sie sämtlicher Grundfesten ihres Lebens - einer ausgeglichenen Mutter, eines lebendigen Vaters und eines sicheren Zu- hauses - beraubt hatte.
Kendra verstand all dies, aber sie wusste einfach nicht, was sie dagegen hätte tun können. Sie stützte die Ellbogen auf die Ladentheke und vergrub die Finger im Haar.
Vanessas Problem, brachte Nathan Burke zuletzt vor, seivielleicht der Art, dass es in einer Wohngruppe gelöst werden könne. Es gab derartige Einrichtungen, und falls Mrs. Osborne sich mit der Erziehung des Mädchens überfordert fühlte, könne das Jugendamt...
Sie hob den Kopf. »Die Kinder kommen nicht ins Heim«, erklärte sie.
»Heißt das, dass wir Vanessa zukünftig in der Schule sehen werden?«, erkundigte sich Mr. Burke.
»Das weiß ich nicht«, gestand Kendra offen.
»Wenn nicht, muss ich den Fall weiterleiten, und das Jugendamt würde zwangsläufig eingeschaltet. Wenn Sie sie nicht zum Schulbesuch motivieren können, ist das der nächste Schritt. Bitte machen Sie ihr das klar. Vielleicht hilft es.«
Er klang mitfühlend, aber Mitgefühl war das Letzte, was Kendra wollte. Inzwischen wollte sie nur noch, dass dieser Kerl endlich verschwand, und darum nickte sie. Er verabschiedete sich bald darauf, jedoch nicht ohne zuvor ein Schmuckstück aus Bakelit für seine Freundin auszuwählen.
Cordie griff nach Kendras Zigaretten; ihre eigenen hatte sie längst aufgeraucht. Sie zündete zwei an und reichte eine davon ihrer Freundin. »Okay. Ich muss es sagen.« Sie nahm einen tiefen Zug, wie um sich Mut zu machen. »Vielleicht, Ken, nur ganz vielleicht haste dir mit dieser Sache einfach zu viel vorge - nomm'.«
»Mit welcher Sache?«
»Mit dieser Ersatzmuttersache. Hör mal, du has ' doch noch nie ... Ich mein, wie kannste von dir erwarten, dass du weiß', was du mit diesen Kids machen solls ', wo du so was doch noch nie gemacht has '. Wollteste denn je? Ich mein, vielleicht, wenn sie anderswo hinkämen ... Ich weiß, du wills ' das nich ', aber es könnte doch sein, dass sie richtige Familien für sie finden ...«
Kendra sah sie ungläubig an. Es erstaunte sie, dass Cordie sie so schlecht kannte, aber sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass sie selbst für die Ahnungslosigkeit ihrer Freundin verantwortlich war. Was sonst sollte Cordie glauben, da Kendra ihr nie die Wahrheit gesagt hatte? Sie wusste nicht einmal,warum sie es ihr nie gesagt hatte - vielleicht weil es ihr so viel moderner und emanzipierter erschienen war, ihre Freundin in dem Glauben zu lassen, Kendra hätte in der Frage eine Wahl gehabt. Sie sagte lediglich: »Die Kinder bleiben bei mir, Cordie, zumindest bis Glory sie zu sich holt.«
Doch dass Glory Campbell nicht die Absicht hatte, das zu tun, bestätigte sich wenige Tage später, als Kendra die Post hereinholte und den ersten Brief fand, den Glory in all den. Monaten seit ihrer Abreise nach Jamaika geschrieben hatte. Der Inhalt war wenig überraschend: Sie, Glory, habe gründlich über die Situation nachgedacht und sei zu dem Schluss gekommen, dass sie ihre Enkel nicht aus England wegholen dürfe. So viel Distanz zwischen die Kinder und die arme Carole zu bringen, wäre vermutlich der Tropfen,
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