Am Ende zählt nur das Leben
Männer verstummten und Löcher in die Luft starrten. Ich kannte diese Sprachlosigkeit gut, denn mir ging es dort selten anders. Trotzdem musste ich zugeben, dass ich seit der Geburt unserer Tochter langsam ein gelösteres Verhältnis zu Cays Eltern bekam.
Immer wenn Cay und ich im Norden waren, trafen wir uns auch mit Basti und Robert. Basti wusste meistens schon vorab von unserem Besuch, weil wir regelmäßig miteinander telefonierten. Es war uns zur Gewohnheit geworden, alle paar Wochen ein stundenlanges Gespräch zu führen. Mein alter Kumpel telefonierte genauso gern wie ich, und es wurde uns nie langweilig dabei. So war ich bestens über die Entwicklungen in der alten Heimat informiert. Ich wusste, wer mit wem zusammen war, wo es kriselte und wer sich getrennt hatte. Auch über Robert und seine Freundin bekam ich einige Auskünfte. Oft wählte ich Bastis Nummer, wenn ich Heimweh hatte und an die alten Freunde in der Heimat dachte. Immer wieder fragte ich ihn, wann er endlich mit Robert zum Cannstatter Wasen käme, damit wir einen Zug über den Platz machten. Aber daraus war bisher nichts geworden.
Basti war es auch, der sich um eine Verabredung kümmerte, wenn Cay und ich im Norden waren. Meistens trafen wir uns dann zu viert in einem Szenecafé in der nahe gelegenen Kleinstadt, wo man auch auf andere Bekannte stieß. Wir setzten uns an einen Tisch, bestellten Getränke und plauderten. Robert erzählte von seiner Freundin und ich von meinem neuen Leben als Mutter. Es waren ausgelassene Gespräche, bei denen auch Cay mitreden konnte. Wenn mein Mann einen seiner alten Freunde im Café entdeckte, nutzte er die Gelegenheit für einen Plausch über alte Zeiten und frischte Bekanntschaften auf.
Cay ließ es sich nie nehmen, die Rechnung für alle zu begleichen. Für ihn spielte Geld bei solchen Begegnungen keine Rolle. Es war selbstverständlich für ihn, die beiden Studenten einzuladen. Und so war Robert mir nach wie vor nahe, auch wenn er und Basti nicht bei der Taufe gewesen waren.
Mein Mann und meine kleine Sarah bedeuteten mir alles. Doch meine Familie und meine Freunde waren das Netz, das mich immer halten würde. Ich ahnte ja nicht, wie sehr ich es noch brauchen würde.
Müde
Unsere Tochter wurde ein Jahr alt, und mein Mann war antriebsärmer und müder denn je. Manchmal saß er wie ein Häuflein Elend auf dem Sofa. Es fiel mir zunehmend schwer, in ihm den Mann zu sehen, den ich vor drei Jahren kennengelernt hatte. Wie forsch und selbstbewusst er sich damals doch präsentiert hatte! Ich bin der Größte, ich bin der Tollste, ich bin der Cay, ich will Ski laufen, ich will Marathon laufen, Tennis spielen, Cabrio fahren, shoppen, Restaurants besuchen, in Hotels übernachten, meinen Spaß haben.
Und wie sehr er mich damit beeindruckt hatte!
Jetzt zeigte sich sein Elan allenfalls dann, wenn ich ihn mit Sarah im Versicherungsbüro besuchte und er unsere Kleine auf den Arm nahm und herumzeigte.
»Meine Tochter, meine Prinzessin! Schaut her, ist sie nicht süß! Mein Engelchen!«
Zu Hause war er ein anderer, und es kam immer häufiger zu Reibereien zwischen uns. Manchmal ging es schon los, wenn er von der Arbeit kam und Sarah auf ihn zutapste.
»Wenn ich aus dem Büro komme, brauche ich wenigstens eine halbe Stunde Ruhe. Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt. Ich habe einen anstrengenden Arbeitstag hinter mir«, sagte er, was gleichbedeutend war mit: Nimm Sarah bitte mit in ein anderes Zimmer. Ich kann jetzt nicht mit ihr spielen .
»Deine Tochter freut sich, wenn du nach Hause kommst. Sie versteht nicht, dass du abweisend bist. Ein Kind hat keinen Knopf zum Ausstellen.«
»Ich lege mich kurz hin. Kannst du nicht so lange mit ihr spazieren gehen?«
»Wie bitte? Unsere Tochter muss in spätestens einer Stunde ins Bett. Sie möchte gern mit dir spielen.«
»Ich kann nicht. Mir fallen gleich die Augen zu.«
Dann legte er sich aufs Sofa und zog sich die Decke über den Kopf. Aus der halben Stunde wurde der gesamte Abend. Manchmal sprang er aber auch wieder auf, zog sich seine Laufsachen an und rannte los. Er peilte einen Marathon an. Nach seinem anstrengenden Training war er noch müder.
Was war nur los mit ihm? Ich versuchte, an ihn heranzukommen, fragte, ob er sich krank fühle oder sonst etwas nicht stimme, aber er schüttelte nur den Kopf und schob Müdigkeit vor. Ich begriff nicht, was mit ihm los war. Hatte ich für ihn an Anziehungskraft verloren? Machte ich etwas falsch? War ich zu sehr auf
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