Am Ende zählt nur das Leben
Stuttgart lebten, aber im Norden verwurzelt waren. Für mich gab es keinen Zweifel daran, unsere Sarah hier taufen zu lassen. Hier gehörten wir her, und hier lebten unsere Eltern und Angehörigen. Ich glaubte an den Schutz der christlichen Gemeinschaft, von der ich ein Teil war und der auch meine Kinder angehören sollten. Sarahs Taufe und ihr Eintritt in die Kirche erschienen mir selbstverständlich, und wenn sie sich als Erwachsene anders entschied, dann würde ich das akzeptieren. Doch nun sollte sie eine erste Segnung erhalten. Ich selbst trauerte immer noch der Tatsache hinterher, nicht kirchlich geheiratet zu haben, was ich dem Pastor sofort erzählte. Cay und ich wollten das eines Tages nachholen, es war sein Versprechen an mich. Der Pastor hörte mir aufmerksam zu und fragte dann nach meinen Wünschen für Sarahs Taufspruch.
»Unsere Tochter soll bei ihrer Taufe meinen Konfirmationsspruch mit auf den Weg bekommen: Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.«
»Der Psalm des guten Hirten, das ist ein schöner Taufspruch. Ich mag ihn auch gern«, sagte der Pastor.
Wir unterhielten uns eine Weile über mein Leben fernab der Heimat. Ich erzählte ihm, wie sehr mir manchmal die vertraute Umgebung fehlte. Auch meine netten Kollegen, unser hübsches Zuhause und die Ausflüge in die Berge konnten mich nicht wirklich darüber hinwegtrösten. Doch für meinen Mann und unser Familienleben musste und wollte ich gern auf meine Heimat verzichten.
»Wer weiß, vielleicht können Sie eines Tages wieder zurückkommen«, sagte der Pastor.
»Das wäre schön, aber mein Mann ist in Stuttgart beruflich fest verankert. Es wäre nicht einfach für ihn, seine Position aufzugeben. Außerdem fühlt er sich dort ausgesprochen wohl. Der Golfplatz und die Skipisten sind in erreichbarer Nähe. Er fährt so gern in die Berge.«
»Manchmal sind andere Dinge wichtiger.«
»Ich weiß«, sagte ich und dachte über seine Worte nach.
Mir waren wirklich ganz andere Dinge wichtig. Es machte zwar Spaß, ein Wochenende in Kitzbühel zu verbringen, beim berühmten Abfahrtsrennen zuzuschauen und in prominenter Gesellschaft einen Sekt zu trinken, aber am wohlsten fühlte ich mich mit meiner Tochter und meinem Mann, vorausgesetzt, er war in guter Stimmung. Doch das war in letzter Zeit leider nicht immer so. Vielleicht hatte er sich noch nicht gänzlich in seine Vaterrolle eingelebt. Oft wirkte er angespannter und kraftloser als ich, obwohl er nachts nie aufstand, um Sarah zu versorgen. Mir hingegen ging es rundum gut. Körperlich hatte ich mich schnell von der Geburt erholt, und bis auf einige überflüssige Kilo auf den Hüften war ich beinahe in der gleichen Form wie vor der Schwangerschaft.
Vielleicht war es an der Zeit, das Heimweh loszulassen. Die räumliche Entfernung zu meiner vertrauten Umgebung brachte auch gewisse Vorteile mit sich, wie ich mir eingestehen musste. Binnen kurzer Zeit war aus dem Nesthäkchen von einst eine Frau geworden, die in einer fremden Großstadt lebte, eine feste Anstellung in einer Praxis hatte, ein Kind versorgte, einen Haushalt führte und neue Freundschaften pflegte. Wenn ich es mir richtig überlegte, konnte ich stolz auf mich sein.
»Ich freue mich schon sehr auf die Taufe«, sagte ich zum Pastor.
»Haben Sie viele Gäste eingeladen?«
»Unsere Familien und einige Freunde.«
Am darauffolgenden Sonntag fand die Zeremonie statt. Meine Freundin Nicole war mit ihrem Mann Heiner und Sohn Noah aus Süddeutschland angereist. Sie sollte Sarahs Taufpatin werden. So hatte ich es mir gewünscht: Nicole als Trauzeugin und Taufpatin. Das passte! Unser gesamter Familienanhang und unsere besten Freunde kamen in die Kirche. Nicht wenige waren von fern gekommen.
Neben dem Taufbecken hielt ich Sarah im Arm. Der Moment rührte mich zu Tränen. Ich schluckte. Der Pastor lächelte mir zu, und mit dem tröpfelnden Wasser aus dem Taufbecken strich er über Sarahs Stirn und sprach den Psalm.
Nach dem Kirchgang hatte Cays Mutter ein Mittagessen für die Familienangehörigen und engsten Freunde ausgerichtet. Als sich die Gesellschaft danach auflöste und wir zu meinem Elternhaus aufbrachen, wo wir noch gemeinsam Kaffee trinken wollten, war ich erleichtert und spürte, dass es den anderen ähnlich ging. Selten hatte ich meine Familie so ruhig wie im Esszimmer von Cays Eltern erlebt. Es war merkwürdig zu beobachten, wie selbst erwachsene
Weitere Kostenlose Bücher