Am ersten Tag - Roman
erreichte ich Erwan.
»Ich weiß nicht, auf welcher Spur du jetzt bist, aber allmählich machst du mich wirklich neugierig. Ich weiß auch nicht, warum ich so viele Stunden für dich arbeite, obwohl du mir nie etwas sagst, doch es wird wohl damit zusammenhängen, dass du mein Freund bist. Und da es so ist, erwarte ich, dass
du mit Erklärungen hierherkommst und mich zum Ausgleich für die zweite schlaflose Nacht in ein gutes Restaurant einlädst.«
»Was hast du entdeckt, Erwan?«
»Deine Armillarsphäre ist auf eine präzise Achse eingestellt. Ich habe eine Triangulation durchgeführt, habe die äquatorialen Koordinaten, den Äquator und den Meridian deiner Armillarsphäre gekreuzt, um Rektaszension und Deklination zu bestimmen. Ich habe Stunden mit der Suche zugebracht, welcher Stern angepeilt war, habe aber nichts gefunden. Wie ich gesehen habe, hast du auch deinen Freund Martyn gebeten, sich mit der Frage zu beschäftigen. Vielleicht hat er ja etwas entdeckt. Ich für meinen Teil muss leider passen.«
Nachdem ich aufgelegt hatte, wählte ich die Nummer von Martyn und entschuldigte mich, ihn so früh schon zu stören.
»Ein verdammt verzwicktes Rätsel, das du mir da geschickt hast. Aber wenn du geglaubt hast, mich aufs Glatteis führen zu können, hast du dich geirrt.«
Ich ließ ihn reden und spürte, wie sich mein Herzschlag mit jedem Augenblick weiter beschleunigte.
»Nun«, fuhr Martyn fort, »da mir die Zeitkoordinaten zur Berechnung der Winkel fehlten, habe ich mich gefragt, welches Spiel du da wohl treibst. Das ist ein fantastisches Modell einer Armillarsphäre. Das vollkommenste, das ich je gesehen habe, vor allem ist es sehr präzise. Unglaublich präzise übrigens. Gut, kommen wir zu den Fakten. Ich habe mich gefragt, auf welchen Stern sie ausgerichtet war, bis mir klar wurde, worum es sich handelt. Diese Armillarsphäre zeigt keinen Punkt am Himmel an, sondern umgekehrt vom Himmel aus einen Punkt auf der Erde. Anhand der aktuellen Zeitkoordinaten ergaben meine Berechnungen, dass sich dieser Punkt mitten im Nichts befindet, das heißt irgendwo in der Andamanensee, südlich von Birma.«
»Wäre es dir möglich, bei deinen Berechnungen die Zeitkoordinaten von vor etwa zweitausend Jahren einzugeben?«
»Warum gerade dieses Datum?«, wollte Martyn wissen.
»Weil es ungefähr das Alter des Tempels ist, vor dem ich den Stein mit diesen Koordinaten gefunden habe.«
»Dazu muss ich viele Parameter neu berechnen. Ich will versuchen, einen Computer freizubekommen, aber ich kann dir nichts versprechen. Gib mir bis morgen Zeit.«
Ich dankte meinem Freund für all die Mühen, die er sich machte, und rief daraufhin erneut Erwan an, um ihn auf dem Laufenden zu halten und zu bitten, die gleichen Berechnungen vorzunehmen wie die, mit denen ich Martyn beauftragt hatte. Erwan schimpfte ein bisschen, doch es liegt in seiner Natur, zuerst einmal zu meckern, und auch er versprach mir, sich morgen bei mir zu melden.
Ich informierte Keira über die Fortschritte, die wir innerhalb so kurzer Zeit erreicht hatten. Und ich erinnere mich, wie glücklich und wie begeistert wir waren - beide begierig, die Ergebnisse meiner zwei Freunde zu erfahren. Die Warnungen unseres Lamas hatten wir in den Wind geschlagen. Nur die Wissenschaft zählte, und das Bedürfnis, unsere Entdeckerlust zu befriedigen, war stärker als alles andere.
»Mir ist nicht danach, in unser Kloster-Bed-and-Breakfast zurückzukehren«, meinte Keira. »Nicht dass unser Gastgeber unangenehm wäre, ganz im Gegenteil, doch seine Moralpredigten sind auf die Dauer schwer zu ertragen. Lass uns heute mal Touristen spielen, da wir ohnehin bis morgen warten müssen. Der Gelbe Fluss ist nicht weit von hier entfernt, dort kannst du deine Fotos schießen, auch wenn ich dir Beachtung schenke. Und wenn du uns ein kleines ruhiges Eckchen zum Baden findest, schenke ich dir mehr Beachtung, als du dir vorstellen kannst.«
An diesem Nachmittag haben wir nackt im Fluss gebadet. Keira war glücklich und ich nicht minder. Ich vergaß das Atacama-Hochplateau, London und die Annehmlichkeiten meines Hauses, wenn der Nieselregen auf die Dächer von Primrose Hill fiel. Ich vergaß Hydra, meine Mutter, meine Tante Elena, Kalibanos und seine Esel mit den zwei Gangarten. Ich vergaß, dass ich wahrscheinlich meine Chance verspielt hatte, im nächsten Jahr an der Akademie zu lehren - das alles war mir egal. Keira lag in meinen Armen, wir liebten uns im klaren Wasser des Gelben
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