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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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fröhliches Lachen hören, wenn sie sich über meine Ungeschicklichkeit lustig machte, nie mehr werde ich sie in der Erde graben sehen, auf der Suche nach einem Schatz, nie mehr werde ich sie Süßigkeiten verschlingen sehen, als könnte man sie ihr wegnehmen, aber ich habe tausend Erinnerungen an sie und an uns. Ich brauche nur die Augen zu schließen, damit sie mir wieder erscheint.

    Von Zeit zu Zeit besucht uns Tante Elena. Sonst ist das Haus eher leer, die Nachbarn sind sehr zurückhaltend. Bisweilen kommt Kalibanos vorbei, um nach seinem Esel zu sehen, wie er sagt, doch ich weiß, dass das nicht stimmt. Wir setzen uns auf eine Bank und blicken zusammen aufs Meer. Auch er hat vor langer Zeit geliebt. Es war kein chinesischer Fluss, der ihm seine Frau entrissen hat, sondern eine Krankheit, aber der Schmerz, den wir teilen, ist derselbe, und seinem Schweigen entnehme ich, was er noch immer für sie empfindet.
    Morgen kommt Walter aus London zu Besuch. Seit ich hier bin, ruft er mich jede Woche an. Ich habe es nicht fertiggebracht, nach London zurückzukehren. Durch die Straßen zu gehen, in denen Keiras Schritte noch widerhallen, die Tür zu dem Haus und dem Schlafzimmer zu öffnen, wo wir uns geliebt haben, das geht über meine Kräfte. Keira hatte recht, die geringste Kleinigkeit weckt erneut den Schmerz.
     
    Keira war eine wunderbare Frau, entschlossen, manchmal starrsinnig, mit einem glühenden Lebenshunger. Sie liebte ihren Beruf und respektierte die, die mit ihr arbeiteten. Sie besaß einen unfehlbaren Instinkt und große Demut. Sie war meine Freundin, meine Geliebte, die Frau, die ich vergötterte. Ich habe die Tage gezählt, die wir zusammen verbracht haben, und auch wenn es nicht viele waren, weiß ich doch, dass sie ausreichen, um den Rest meines Lebens zu erfüllen. Ich wünsche mir jetzt, dass die Zeit schnell vergeht.
    Wenn es Nacht wird, sehe ich den Himmel mit anderen Augen. Vielleicht ist in einer fernen Galaxie ein neuer Stern geboren. Irgendwann werde ich aufs Atacama-Hochplateau zurückkehren, und dort werde ich ihn mit dem Objektiv des größten Teleskops finden, wo auch immer er am riesigen Himmelszelt sein mag, und ihm ihren Namen geben.

    Ich werde jene Liste für dich schreiben, meine Liebste, aber später, denn dafür werde ich den Rest meines Lebens brauchen.
     
    Walter kam mittags mit der Fähre an. Ich holte ihn am Hafen ab. Wir fielen uns in die Arme und weinten wie Kinder. Tante Elena stand vor der Tür ihres Ladens, und als der Wirt des Cafés sie fragte, was mit uns los sei, sagte sie ihm, er solle sich lieber um seine Gäste kümmern - obwohl niemand auf der Terrasse saß.
    Walter hatte nicht vergessen, wie man auf einen Esel steigt. Unterwegs ist er nur zweimal runtergefallen, und als wir zu Hause ankamen, begrüßte Mama ihn, als wäre er ihr zweiter Sohn. Sie glaubte, ich hätte nicht gehört, wie sie ihm zuflüsterte, das hätte er ihr auch früher sagen können. Walter fragte sie, was sie damit meinte, doch sie zuckte nur mit den Schultern und murmelte Keiras Namen.
    Walter ist ein kauziger Typ, und während des Abendessens, das Tante Elena mit uns einnahm, brachte er sie so sehr zum Lachen, dass schließlich sogar ich lächeln musste. Und dieses Lächeln erhellte das Gesicht meiner Mutter. Unter dem Vorwand, den Tisch abräumen zu wollen, erhob sie sich und strich mir im Vorbeigehen über die Wange.
    Am nächsten Morgen erzählte sie mir zum ersten Mal von ihrem Kummer nach dem Tod meines Vaters. Auch sie hatte schließlich eine Liste geschrieben. Und dann sagte sie jenen Satz, den ich nie vergessen werde: »Es ist furchtbar, einen geliebten Menschen zu verlieren, doch noch schlimmer wäre es, ihn nie kennengelernt zu haben.«

    Es ist Nacht auf Hydra. Tante Elena schläft im Gästezimmer, Mama hat sich in ihres zurückgezogen. Nachdem ich für Walter die Schlafcouch aufgeklappt habe, trinken wir noch ein Glas Ouzo auf der Terrasse. Er fragt mich, wie es mir geht, und ich antworte, so gut wie unter diesen Umständen möglich. Walter sagt, wie sehr er sich freut, mich zu sehen. Er sagt auch, er hätte etwas für mich. Ein Päckchen, das in der Akademie für mich angekommen sei. Aus China.
    Es ist ein großer Karton, der in Lingbao aufgegeben wurde. Er enthält die Sachen, die wir im Kloster zurückgelassen hatten. Einen Pullover von Keira, ihre Haarbürste und zwei Hüllen mit Fotos.
    »Es waren zwei Wegwerfapparate«, sagte Walter zögerlich. »Ich habe mir erlaubt, die

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