Am ersten Tag - Roman
ersten Stock, dann durch den zweiten, doch plötzlich kamen ihr Zweifel, und sie kehrte zu Ivorys Büro zurück. Diesmal war die Tür offen, und der Professor saß in seinem Sessel. Er hob den Kopf.
»Ah, da sind Sie ja, wie nett, dass Sie gekommen sind.«
»Ich war vorhin schon da und habe dann überall erfolglos nach Ihnen gesucht.«
»Ich hoffe, Sie waren nicht auch auf der Herrentoilette?«
»Nein«, antwortete Keira verlegen.
»Das erklärt alles. Setzen Sie sich doch, ich habe Ihnen einiges mitzuteilen.«
Die Radiokohlenstoffdatierung hatte nichts ergeben, das bedeutete, dass Harrys Geschenk entweder älter als fünfzigtausend Jahre oder aber nichtorganischer Natur war, das heißt kein Ebenholz.
»Wann bekommen wir es zurück?«
»Das Labor schickt es morgen ab, spätestens in zwei Tagen können Sie es wieder um den Hals tragen.«
»Ich möchte wissen, was ich Ihnen schulde, meinen Anteil, Sie erinnern sich?«
»Da die Untersuchung nichts Aussagekräftiges ergeben hat, stellt das Labor auch keine Rechnung. Die Versandkosten belaufen sich auf etwa vierzig Euro.«
Keira legte die Hälfte der Summe auf den Schreibtisch des Professors.
»Das Geheimnis ist also nicht gelüftet. Letztlich könnte es sich auch einfach um Vulkangestein handeln«, sagte sie.
»So glatt und glänzend? Das bezweifele ich. Außerdem ist fossile Lava bröckelig.«
»Sagen wir also, dass es einfach nur ein Anhänger ist.«
»Ich denke, das ist eine weise Entscheidung. Ich rufe Sie an, sobald ich ihn wieder in Händen habe.«
Keira verließ Ivory und beschloss, bei ihrer Schwester vorbeizugehen.
»Warum sagst du mir nicht, dass du dich mit Max getroffen hast?«, fragte Jeanne, sobald Keira ihr Büro betreten hatte.
»Warum sollte ich es dir sagen, nachdem du es schon weißt?«
»Willst du dich wieder mit ihm zusammentun?«
»Wir haben einen Abend zusammen verbracht, und ich habe dann in meiner Wohnung geschlafen, wenn es das ist, was du wissen willst.«
»Und den ganzen Sonntag bist du alleine in deinem Apartment geblieben?«
»Ich bin ihm zufällig begegnet, wir sind spazieren gegangen. Woher weißt du, dass wir uns gesehen haben? Hat er dich angerufen?«
»Max mich anrufen? Machst du Witze? Dafür ist er viel zu stolz. Nach deiner Abreise hat er kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben, und ich glaube, er hat alles darangesetzt, jede Veranstaltung zu meiden, bei der er mich hätte treffen können. Seit eurer Trennung haben wir nicht mehr miteinander gesprochen.«
»Woher weißt du es dann?«
»Eine Freundin hat euch im Hotel Meurice gesehen, anscheinend habt ihr geflirtet wie ein geheimes Paar.«
»Paris ist wirklich ein Dorf! Aber nein, er ist nicht mein Liebhaber, wir sind nur zwei alte Freunde, die sich von Zeit zu Zeit treffen, um sich zu unterhalten. Ich weiß nicht, wer diese schwatzhafte Freundin ist, aber ich verabscheue sie.«
»Die Cousine von Max kann dich genauso wenig ausstehen. Darf ich dich fragen, was du mit Ivory treibst?«
»Ich mag die Gesellschaft von Professoren, das müsstest du doch auch wissen, oder?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass Ivory je unterrichtet hat.«
»Du nervst mich mit deinen Fragen, Jeanne.«
»Um deine Nerven nicht noch mehr zu strapazieren, werde ich dir besser nicht sagen, dass heute Morgen ein Blumenstrauß für dich abgegeben wurde. Der Brief, der dabei war, ist in meiner Tasche, falls es dich doch interessiert.«
Keira nahm den kleinen Umschlag, den ihre Schwester aus ihrer Tasche geholt hatte, öffnete ihn und zog das Büttenpapier heraus. Sie lächelte und schob das Kärtchen in ihre Tasche.
»Ich esse heute Abend nicht mit dir. Ich überlasse dich deinen wohlmeinenden Freunden.«
»Sei vorsichtig mit Max. Er hat Monate gebraucht, um sich von eurer Trennung zu erholen. Reiß die Wunde nicht wieder auf, wenn du vorhast, anschließend zu verschwinden, denn das willst du doch, oder?«
»Sehr gut, Volltreffer mitten in der Moralpredigt. Ein Meisterstück in deiner Rolle als große Schwester. Max ist fünfzehn Jahre älter als ich. Glaubst du nicht, dass er sein Leben und seine Gefühle im Griff hat, oder soll ich ihm deine Hilfe anbieten? Die Schwester des Biests - kann man sich etwas Besseres vorstellen?«
»Warum bist du mir eigentlich böse?«
»Weil du ständig über mich richtest.«
»Geh, Keira, ich habe zu tun. Und du hast völlig recht, du bist nicht mehr in dem Alter, wo ich mich als deine große Schwester aufspielen sollte. Du hast ohnehin nie
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