Am ersten Tag - Roman
viele Sterne gibt es über uns?«, fragte er dann mit der verzückten Stimme eines Kindes.
»Bei einem so klaren Himmel wie heute Abend erkennen Sie die fünftausend, die uns am nächsten sind.«
»So viele?«, meinte Walter nachdenklich.
»Es sind noch viel mehr, aber unsere Augen können nicht weiter als tausend Lichtjahre sehen.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass die meinen so gut sind. Die Freundin Ihres Leuchtturmwärters in Norwegen sollte sich besser hüten, leicht bekleidet am Fenster zu stehen!«
»Es geht nicht um Ihre Sehfähigkeit, Walter. Eine kosmische Staubwolke verhüllt den größten Teil der Hunderte von Milliarden Sterne, die es in unserer Galaxie gibt.«
»Es gibt Hunderte von Milliarden Gestirne über uns?«
»Wenn Sie wirklich etwas Schwindelerregendes hören wollen, kann ich Ihnen sagen, dass es im Universum mehrere hundert Milliarden Galaxien gibt. Unsere Milchstraße ist nur eine davon, jede einzelne enthält, wie gesagt, Hunderte von Milliarden Sterne.«
»Das kann man sich gar nicht ausmalen.«
»Dann stellen Sie sich Folgendes vor: Wenn man alle Sandkörner unseres Planeten zählen würde, hätte man noch nicht einmal die vermutliche Anzahl von Sternen erreicht, die unser Universum beherbergt.«
Walter richtete sich auf, nahm eine Handvoll Sand und ließ ihn durch die Finger rieseln. In einer Stille, die nur vom Rauschen der Wellen unterbrochen wurde, betrachteten wir den Himmel wie zwei von dieser Unendlichkeit verzauberte Kinder.
»Glauben Sie, dass es irgendwo dort oben Leben gibt?«, fragte Walter in ernstem Tonfall.
»Hundert Milliarden Galaxien, die jeweils mindestens hundert Milliarden Sterne und ebenso viele Sonnensysteme umfassen - da ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Einzigen sind, gleich null. Natürlich glaube ich nicht an kleine grüne Männchen. Es gibt bestimmt Leben, aber in welcher Form? Alles ist möglich, von der einfachen Bakterie bis zu Wesen, die vielleicht weit entwickelter sind als wir. Wer weiß?«
»Ich beneide Sie, Adrian!«
»Sie beneiden mich? Lässt Sie dieser Sternenhimmel plötzlich von jenem chilenischen Hochplateau träumen, von dem ich Ihnen die Ohren voll geschwärmt habe?«
»Nein, ich beneide Sie um Ihre Träume. Mein Leben besteht nur aus Zahlen, kleinen Einsparungen, gekürzten Budgets, während Sie mit Werten umgehen, die meine Rechenmaschine im Büro sprengen würden, und diese unvorstellbaren Ziffern nähren immer noch Ihre Kindheitsträume. Darum beneide ich Sie. Ich bin glücklich, dass wir hierhergekommen sind. Egal ob wir den Preis erhalten oder nicht, ich habe heute Abend schon viel gewonnen. Was halten Sie davon, wenn Sie für meinen nächsten Wochenendkurs in Astronomie einen weiteren netten Ort finden würden?«
So blieben wir, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, bis zum Sonnenaufgang am Strand von Sheringham liegen.
Paris
Bei einem ausgedehnten Mittagessen söhnten Keira und Jeanne sich aus. Jeanne sprach über ihre Trennung von Jérôme. Als sie während einer Einladung bei Freunden beobachtet hatte, dass er seiner Nachbarin schöne Augen machte, war sie aufgewacht. Auf dem Heimweg hatte sie jenen kurzen und doch folgenschweren Satz ausgesprochen: »Wir müssen miteinander reden«.
Jérôme hatte rundweg abgestritten, dieser Frau das geringste Interesse entgegengebracht zu haben, er erinnere sich nicht einmal an ihren Vornamen. Aber das war nicht das eigentliche Problem: Sie hätte sich gewünscht, dass Jérôme sie an diesem Abend verführt, doch er hatte sie die ganze Zeit nicht eines Blickes gewürdigt. Sie hatten die Nacht durchdiskutiert und sich am frühen Morgen getrennt. Einen Monat später erfuhr Jeanne, dass er bei ebendieser Tischnachbarin eingezogen war. Seither fragte sie sich, ob man das Schicksal vorausahnt oder es im Gegenteil provoziert.
Sie fragte Keira, welche Absichten sie Max gegenüber hege, und ihre Schwester antwortete ihr: gar keine. Nach drei Jahren in Äthiopien war ihr die Vorstellung, sich ohne Berechnung und Vorbehalte vom Leben einfach treiben zu lassen, nicht unangenehm. Die junge Archäologin liebte ihre Freiheit und war nicht gewillt, etwas daran zu ändern.
Während des Essens vibrierte ihr Handy mehrmals. Vielleicht versuchte ja Max, sie zu erreichen. Angesichts der Hartnäckigkeit nahm Keira das Gespräch schließlich an.
»Ich hoffe, ich störe Sie nicht?«
»Nein, natürlich nicht«, antwortete sie Ivory.
»Das deutsche Labor hat sich beim Rückversand Ihres
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