Am ersten Tag - Roman
dass es Ihnen auch etwas Spaß macht. Schließlich hätten wir beide niemals zu hoffen gewagt, noch einmal aktiv zu werden. Und die Vorstellung, die Fäden des Spiels in der Hand zu halten, missfällt Ihnen nicht, mir übrigens auch nicht.«
»Nun ja«, erwiderte Vackeers seufzend und nahm hinter seinem großen Mahagonischreibtisch Platz. »Was planen Sie als nächsten Zug?«
»Zunächst lassen wir den Dingen ihren Lauf. Wenn es unserer jungen Dame gelingt, das Interesse dieses Astrophysikers zu wecken, dann ist sie noch klüger, als ich dachte.«
»Wie viel Zeit geben Sie uns, bis LONDON, MADRID, BERLIN oder PEKING Kenntnis von der bevorstehenden Partie haben?«
»Oh, sie werden sehr schnell begreifen, was hier gespielt wird. Die Amerikaner haben sich bereits manifestiert. Die Wohnung der Schwester unserer Archäologin wurde heute Morgen durchsucht.«
»Was für Schwachköpfe!«
»Das ist ihre Art, Botschaften zu hinterlassen.«
»Die an uns gerichtet sind?«
»Eigentlich an mich. Sie sind wütend, weil ich den Gegenstand nicht in Besitz genommen habe, und noch mehr, weil ich so unverschämt war, ihn ausgerechnet auf ihrem Territorium analysieren zu lassen.«
»Das war allerdings sehr dreist, Ivory. Ich denke, dies ist
nicht der rechte Moment für derlei Provokationen. Wir wissen nicht, wohin die Reise führt. Und Ihre Ressentiments denen gegenüber, die Sie ins Abseits gedrängt haben, dürfen Ihr Urteilsvermögen nicht beeinflussen. Ich begleite Sie bei diesem verrückten Abenteuer, aber lassen Sie uns keine unnötigen Risiken eingehen.«
»Es ist Mitternacht, ich glaube, es ist Zeit, uns zu verabschieden, Jan. Wir wollen uns in drei Tagen zur selben Stunde treffen. Dann sehen wir, wie sich die Dinge entwickelt haben, und ziehen Bilanz.«
Die beiden Freunde trennten sich. Vackeers verließ als Erster das Vorzimmer. Er durchquerte den großen Saal und stieg die Stufen zum Untergeschoss des Gebäudes hinab.
Die Eingeweide des Königspalastes sind ein wahres Labyrinth. Dreizehntausendsechshundertneunundfünfzig Holzpfeiler stützen das Bauwerk. Vackeers bahnte sich seinen Weg durch diesen sonderbaren Wald, um zehn Minuten später durch eine kleine Tür auf den Innenhof eines Bürgerhauses zu treten. Ivory, der fünf Minuten später aufbrach, nahm einen anderen Weg.
London
Das Restaurant existierte nur noch in meiner Erinnerung, doch ich fand ein anderes, ganz ähnlich im Stil, und Keira meinte schwören zu können, es sei das Lokal, in das ich sie damals geführt hatte. Während des Abendessens versuchte sie mir zu erzählen, was sich seit unserer Trennung in ihrem Leben zugetragen hatte. Wie aber soll man innerhalb weniger Stunden fünfzehn Jahre zusammenfassen? Das Gedächtnis ist ebenso faul wie scheinheilig. Es merkt sich nur die schönsten und die schlimmsten Momente, die intensiven Phasen, nie den grauen Alltag, den es einfach auslöscht. Je länger ich Keira zuhörte, desto mehr fand ich die Klarheit ihrer Stimme wieder, die mich so sehr betört, den lebhaften Blick, in den ich mich an manchen Abenden versenkt hatte, das Lächeln, für das ich beinahe auf meine Projekte verzichtet hätte. Und doch fiel es mir schwer, mich an die Zeit zu erinnern, als sie nach Frankreich zurückgekehrt war.
Keira hatte immer gewusst, was sie wollte. Nach Abschluss ihres Studiums reiste sie zunächst nach Somalia, wo sie ein Praktikum absolvierte. Dann verbrachte sie zwei Jahre in Venezuela, um dort unter einem berühmten Archäologen zu arbeiten, dessen autoritäres Gebaren an Despotismus grenzte. Nach einer Zurechtweisung sagte sie ihm ihre Meinung und kündigte. Während der folgenden zwei Jahre fand sie kleine Jobs auf Ausgrabungsstätten in Frankreich. Eines Tages war man beim Bau einer neuen Schnellzugtrasse auf einen paläontologischen Fundort
gestoßen, der eine Veränderung des Streckenverlaufs nötig gemacht hatte. Im Laufe der Monate übernahm Keira immer mehr Verantwortung innerhalb des Archäologenteams. Sie fiel durch ihre qualifizierte Arbeitsweise auf, erhielt ein Stipendium und reiste nach Äthiopien ins Omo-Tal. Dort war sie zunächst als Stellvertreterin des Forschungsleiters tätig. Nachdem dieser erkrankt war, übernahm sie die Leitung des Projekts und verlegte die Ausgrabungsstätte um fünfzig Kilometer.
Während sie mir ihren Aufenthalt in Afrika schilderte, spürte ich, wie glücklich sie dort gewesen war. Ich besaß die Dummheit zu fragen, warum sie zurückgekehrt war. Ihre Miene
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