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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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Sonnenposition im Laufe der Zeit studierte, gelang es Sir Norman Lockyer, Stonehenge und seine mysteriösen Dolmen zu datieren. Von Jahrtausend zu Jahrtausend verändert sich der Stand der Sonne im Zenit, und so befindet
er sich heute verglichen mit dem in prähistorischer Zeit mehrere Grade östlicher. In Stonehenge war der Zenit durch eine Mittelachse markiert, zu deren beiden Seiten in regelmäßigen Abständen Menhire aufgestellt waren. Diese orientierte sich am Sonnenaufgang zur Sommersonnenwende. Der Rest basierte auf komplexen mathematischen Berechnungen.
     
    Ich hatte befürchtet, Keira würde mir gar nicht richtig zuhören, doch sie schien an meinen Erläuterungen ernsthaft interessiert.
    »Jetzt machst du mir schon wieder etwas vor, im Grunde ist dir das Ganze völlig gleichgültig, stimmt’s?«
    »Nein, im Gegenteil«, versicherte sie mir. »Wenn ich Stonehenge eines Tages besichtige, werde ich die Dinge in einem anderen Licht sehen.«
    Das Restaurant schloss, wir waren die letzten Gäste, und indem er die Lichter löschte, bedeutete uns der Kellner, dass es auch für uns Zeit zu gehen war. Wir schlenderten eine gute Stunde durch Primrose Hill und tauschten Erinnerungen an einen fernen Sommer. Ich schlug Keira vor, sie zu ihrem Hotel zu begleiten, doch als wir in ein Taxi stiegen, wollte sie mich lieber nach Hause bringen. »In allen Ehren, versteht sich«, fügte sie hinzu. Unterwegs versuchte sie sich vorzustellen, wie meine Wohnung eingerichtet war.
    »Sehr … viel zu sehr maskulin«, sagte sie, während sie sich im Erdgeschoss umsah. »Was nicht heißt, dass es nicht einen gewissen Charme hat. Eine Junggesellenbude eben.«
    »Was hast du meinem Haus vorzuwerfen?«
    »Wo ist das Schlafzimmer in deiner Mädchenfalle?«
    »Im ersten Stock.«
    »Dachte ich’s mir doch«, sagte sie und stieg die Treppe hinauf.
    Als ich mein Zimmer betrat, erwartete mich Keira auf dem Bett.

    In dieser Nacht haben wir uns nicht geliebt. Eigentlich bot sich alles dafür an, doch an manchen Abenden tritt etwas in den Vordergrund, das stärker ist als körperliches Verlangen. Die Angst vor einer Ungeschicklichkeit, die Angst, seine Gefühle zu enthüllen, die Angst vor dem Morgen und den Tagen, die folgen. Wir haben die ganze Nacht gesprochen. Wange an Wange, Hand in Hand, wie zwei Studenten, die nicht gealtert waren - doch natürlich waren wir älter geworden. Bevor Keira schließlich an meiner Seite einschlief, fragte sie:
    »Adrian, hast du dich nie gefragt, woher wir kommen? Hast du nie davon geträumt herauszufinden, ob das Leben eine Frucht des Zufalls ist oder von Gott geschaffen wurde? Welchen Sinn hat unsere Evolution? Sind wir nur eine Etappe auf dem Weg zu einer anderen Zivilisation?«
    »Und du, Keira, hast du nie davon geträumt zu erfahren, wo die Morgendämmerung beginnt?«
     
    Noch bevor der Morgen graute, hörte ich das Geräusch von Schritten so leicht wie die eines Tieres. Ich öffnete die Augen, und Keira flehte mich an, sie wieder zu schließen. Von der Türschwelle aus sah sie mich an, und mir wurde klar, dass sie gehen würde.
    »Du wirst mich nicht anrufen, stimmt’s?«
    »Wir haben Erinnerungen, nicht aber Telefonnummern ausgetauscht, und das ist vielleicht besser so«, murmelte sie.
    »Warum?«
    »Ich werde nach Äthiopien zurückkehren, und du träumst von deinen chilenischen Bergen. Das ist eine verdammt große Entfernung, findest du nicht?«
    »Vor fünfzehn Jahren hätte ich dir besser glauben sollen, statt dir böse zu sein. Du hattest recht, es sind nur gute Erinnerungen geblieben.«

    »Dann versuch, mir auch diesmal nicht böse zu sein.«
    »Ich verspreche dir, mein Bestes zu tun. Und wenn …«
    »Nein, sag nichts weiter, es war ein wunderbarer Abend, Adrian. Ich weiß nicht, was am gestrigen Tag das Schönste war - der gewonnene Preis oder das Wiedersehen mit dir, und ich will auch gar nicht versuchen, es herauszubekommen. Ich habe dir eine kleine Nachricht auf dem Nachtkästchen hinterlassen. Lies sie, wenn du aufwachst. Schlaf wieder ein und lausche nicht auf das Geräusch der zufallenden Haustür.«
    »Du bist bezaubernd in diesem Licht.«
    »Du musst mich gehen lassen, Adrian.«
    »Kannst du mir etwas versprechen?«
    »Alles, was du willst.«
    »Sollten sich unsere Wege erneut kreuzen, so versprich mir, mich nicht zu küssen.«
    »Versprochen«, sagte sie.
    »Alles Gute. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass du mir nicht fehlen wirst.«
    »Dann sag es nicht. Dir auch alles

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