Am ersten Tag - Roman
einen herrlichen Blick auf die Hauptstadt - sogar der Eiffelturm war zu erkennen.
Paris
Keira flehte Jeanne an, ihr beim Schließen ihres Koffers zu helfen.
»Ich will nicht, dass du gehst.«
»Bitte hör auf, Jeanne, ich verpasse sonst noch mein Flugzeug.«
Der Aufbruch gestaltete sich äußerst hektisch. Im Taxi, das sie nach Orly fuhr, sagte Jeanne zunächst kein Wort.
»Willst du den ganzen Weg über schmollen?«
»Ich schmolle nicht. Ich bin traurig, das ist alles«, murmelte Jeanne.
»Ich verspreche, regelmäßig anzurufen.«
»Immer diese leeren Versprechungen! Wenn du dort bist, existiert für dich nichts anderes mehr als deine Arbeit. Und außerdem hast du mir schon x-mal erklärt: keine Telefonzellen, kein Netz …«
»Jeanne, diese letzten beiden Monate waren wunderschön, und nichts von dem, was mir widerfahren ist, wäre ohne dich möglich gewesen. Diese Reise habe ich allein dir zu verdanken, du bist …«
»Ich weiß, ich bin die Vollidiotin, die du gegen keine andere auf der Welt eingetauscht hättest. Trotzdem verbringst du deine Tage lieber im Omo-Tal bei deinen Skeletten als mit deiner angeblich unersetzbaren Schwester. Ach, ich bin aber auch blöd. Ich hatte mir so fest vorgenommen, dir keine Szene zu machen. Vorhin im Schlafzimmer habe ich mir hundertmal
all die fröhlichen Dinge wiederholt, die ich dir sagen wollte.«
Jeanne musterte Keira aufmerksam.
»Was ist?«
»Nichts, ich präge mir dein Gesicht ein für die lange Zeit, die ich es nicht sehe.«
»Hör auf damit, Jeanne, ich werde noch trübsinnig. Besuch mich halt einfach!«
»Ich habe so schon Schwierigkeiten, mit meinem Monatsgehalt über die Runden zu kommen. Mein Bankberater wäre sicher begeistert, wenn ich ihn um einen Kredit für eine kleine Äthiopienreise bitten würde. Was hast du mit deiner Kette gemacht?«
Keira griff an ihren Hals.
»Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich höre.«
»Ich bin in London zufällig einem alten Bekannten begegnet.«
»Und du hast ihm den Schmuck geschenkt, an dem du so hängst?«
»Ich sagte doch, das ist eine lange Geschichte.«
»Wie heißt er?«
»Adrian.«
»Hast du ihn mit an Papas Grab genommen?«
»Natürlich nicht.«
»Nun, wenn dieser mysteriöse Adrian in der Lage ist, Max aus deinen Gedanken zu vertreiben, dann sei ihm gedankt.«
»Was hast du gegen Max?«
»Nichts!«
Keira musterte ihre Schwester aufmerksam.
»›Nichts‹ oder ›Nichts, im Gegenteil‹?«, fragte sie.
Jeanne gab keine Antwort.
»Mein Gott, bin ich blöd!«, stöhnte Keira auf. »›Seit eurer Trennung haben wir nicht mehr miteinander gesprochen.‹, ›Max hat Monate gebraucht, um sich zu erholen. Reiß die Wunde nicht wieder auf, wenn du vorhast, anschließend zu verschwinden. ‹, ›Ich weiß nicht, ob ich es dir sagen soll … Max war auch bei diesem Essen.‹ Du bist total verrückt nach ihm!«
»Unsinn!«
»Sieh mir in die Augen, Jeanne!«
»Was hätte ich dir sagen sollen: Ich habe mich so einsam gefühlt, dass ich mich in einen Ex meiner kleinen Schwester verknallt habe? Ich weiß nicht mal, ob ich mich in ihn verliebt habe oder einfach nur eine Beziehung wollte.«
»Max gehört dir, Jeanne, aber sei nachher nicht enttäuscht. Er ist ein Fehlgriff!«
Jeanne begleitete ihre Schwester zum Abfertigungsschalter. Sobald Keiras Reisetaschen auf dem Förderband verschwunden waren, tranken sie einen letzten Kaffee zusammen. Jeanne war so bewegt, dass sie kaum sprechen konnte, Keira ging es nicht viel besser. Sie hielten sich, jede in ihre Gedanken versunken, bei der Hand. Vor dem Eingang zur Sicherheitskontrolle trennten sie sich. Jeanne umarmte Keira und brach in Schluchzen aus.
»Ich verspreche, dich jede Woche anzurufen«, sagte Keira unter Tränen.
»Du wirst dein Versprechen nicht halten, aber ich schreibe dir, und du schreibst mir auch. Du erzählst mir von deinen Tagen und ich dir von meinen. Deine Briefe werden seitenlang sein, meine dagegen ganz kurz, weil ich jetzt schon weiß, dass ich nicht viel zu erzählen haben werde. Du schickst mir Fotos von deinem herrlichen Fluss, und ich schicke dir Postkarten von der Metro. Ich liebe dich, kleine Schwester, pass gut auf dich auf und komm vor allem schnell zurück.«
Keira entfernte sich rückwärtsgehend. Dann hielt sie dem Polizeibeamten hinter seiner Glasscheibe Pass und Bordkarte hin. Nachdem sie die Kontrolle passiert hatte, drehte sie sich noch einmal um, doch Jeanne war schon gegangen.
Es gibt Tage, die aus
Weitere Kostenlose Bücher