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Am ersten Tag - Roman

Am ersten Tag - Roman

Titel: Am ersten Tag - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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kleinen Nichtigkeiten bestehen und die so etwas wie Schwermut hinterlassen, Momente der Einsamkeit, an die man sich lange, sehr lange erinnert.

Athen
    Im Hafen von Piräus geht es gegen Abend wie in einem Bienenstock zu. Kaum den endlosen Schlangen von Bussen und Taxen entstiegen stürzen sich die Passagiere auf die diversen Kais. Die Haltetaue knattern im Wind und schlagen den Takt zum Ballett der Schiffe, die anlegen oder auslaufen. Die Fähre von Piräus nach Hydra befand sich bereits auf dem offenen Meer, der Seegang war beachtlich. Ich saß ganz vorne und starrte auf den Horizont. Trotz meiner griechischen Wurzeln bin ich nie seefest gewesen.
     
    Auf Hydra scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Es gibt nur zwei Arten der Fortbewegung - zu Fuß oder auf dem Rücken eines Esels. Die Häuser des gleichnamigen Hauptortes erstrecken sich von der Hafenmole den Hang hinauf bis zur Burgruine, die man über steile Gässchen erreicht. Außerhalb der Touristensaison kennt sich hier jeder, und man kann nicht an Land gehen, ohne von einem vertrauten Gesicht angelächelt oder von einem Bekannten umarmt zu werden, der aus voller Kehle verkündet, dass man heimgekehrt ist. Für mich ging es darum, das Haus meiner Kindheit zu erreichen, bevor sich das Gerücht von meiner Ankunft in den Hügeln verbreitet hatte. Ich weiß selbst nicht, warum ich meine Mutter so unbedingt überraschen wollte. Vielleicht weil ich in dem knappen Satz auf ihrer Karte keinen Vorwurf, vielmehr so etwas wie eine Bitte wahrgenommen hatte.

    Der alte Kalibanos, der Esel ausleiht, war hocherfreut, mir eines seiner schönsten Tiere anzuvertrauen. Kaum zu glauben, doch es gibt auf Hydra zwei Sorten von Maultieren, solche, die sich gemächlichen Schrittes voranbewegen, und solche mit rascher Gangart. Der Mietpreis für Letztere ist doppelt so hoch wie der für die Bedächtigen, und auf ihnen zu reiten, ist weit schwieriger, als man glauben könnte. Der Esel ist ein eigenwilliges Tier, und wenn man will, dass er in die gewünschte Richtung geht, muss man es fertigbringen, von ihm respektiert zu werden.
    »Lass ihm nichts durchgehen«, beharrte Kalibanos, »er ist ebenso schnell wie faul. In der Kurve kurz vor dem Haus deiner Mutter musst du die Zügel kräftig nach links ziehen, sonst macht er sich über die Blumen auf der Mauer meiner Kusine her, und dann bekomme ich wieder Ärger.«
    Ich versprach, mein Bestes zu tun, Kalibanos befahl mir, ihm mein Gepäck zu überlassen, er würde es später liefern lassen. Er klopfte mit dem Zeigefinger auf seine Uhr und gab mir nicht mehr als fünfzehn Minuten für den Weg nach oben, bis Mama von meiner Anwesenheit auf der Insel erfahren würde.
    »Und du kannst noch von Glück sagen, dass das Telefon deiner Tante nicht funktioniert.«
    Tante Elena hat im Hafen einen kleinen Laden mit Postkarten und Souvenirs. Sie redet unentwegt, meist um nichts zu sagen, doch ihr Lachen ist das ansteckendste, das ich kenne, und sie lacht ständig.
    Sobald ich auf meinem Esel saß, fand ich die Reflexe meiner Kindheit wieder. Ich will damit nicht behaupten, dass meine Haltung besonders vornehm war - mein Esel wiegte sich ausgiebig mit dem Hinterteil hin und her -, doch ich kam gut voran, und die Schönheit des Ortes begeisterte mich wie jedes Mal, wenn ich zurückkam. Ich bin nicht auf Hydra aufgewachsen,
ich bin in London geboren und habe immer dort gelebt, doch wir haben all unsere Ferien in dem Familienhaus meiner Mutter verbracht, bis sie sich nach dem Tod meines Vaters endgültig dort niederließ. Mein Name ist Adrian, hier aber nennt man mich immer nur Adrianos.

Addis Abeba
    Die Maschine war soeben auf dem Flughafen Bole International gelandet und würde gleich im brandneuen Terminal, dem Stolz der Hauptstadt, an der Fluggastbrücke andocken. Keira und ihr Team mussten sich lange Stunden gedulden, bis ihr Material endlich den Zoll passiert hatte. Drei Minibusse warteten draußen auf sie. Der Koordinator, den Keira Anfang der Woche kontaktiert hatte, hatte sein Versprechen gehalten. Die Chauffeure luden Kisten, Zelte und sonstiges Gepäck in die beiden ersten Fahrzeuge ein, das Team nahm im dritten Platz. Die Motoren husteten, die Kupplungen knackten und kündigten den Beginn des wahnwitzigen Unterfangens an. Der Konvoi bog in die Hauptachse ein, die Addis Abeba von Ost nach West durchquert. Der Verkehr war dicht, doch unbeeindruckt von dem Chaos draußen schliefen die erschöpften Teammitglieder bald ein und ließen sich von

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