Am ersten Tag - Roman
dem Ruckeln und Holpern, wenn ein Rad durch ein Schlagloch fuhr, kaum stören.
Das Omo-Tal ist fünfhundertfünfzig Kilometer Luftlinie - und das Dreifache auf dem Fahrweg - von Addis Abeba entfernt. Auf halber Strecke weicht die Teerstraße einer Lehm-und Staubpiste. Sie passierten Addis, Tefki, Tulu Bolo. Bei Einbruch der Dunkelheit machte der Konvoi in Giyon Halt, wo das Material in zwei große Jeeps umgeladen wurde. Keira war höchst zufrieden, ihre Organisation war perfekt, und die Mitglieder ihres Teams schienen trotz der allgemeinen Müdigkeit glücklich.
In Welkite weigerten sich die Fahrer weiterzufahren. Man würde die Nacht hier verbringen. Sie wurden von einer Familie in deren Haus empfangen. Das Team aß bereitwillig das ihnen angebotene Gericht: Doro Wat, Hühnchen auf äthiopische Art. Anschließend schliefen alle auf den Matten, die im Hauptraum ausgelegt wurden.
Keira wachte als Erste auf. Sie trat auf die Veranda und blickte sich um. Die Stadt bestand vorwiegend aus weißen Häusern mit Dächern aus Wellblech. Die Dächer von Paris waren fern, Jeanne fehlte ihr, und sie fragte sich plötzlich, warum sie sich in dieses Abenteuer gestürzt hatte. Die Stimme von Eric, eines ihrer Kollegen, riss sie aus ihren Gedanken.
»Wir sind ganz schön weit vom Pariser périphérique entfernt, was?«
»Das dachte ich auch gerade, aber wenn du glaubst, am Ende der Welt angelangt zu sein, dann warte noch ein wenig, es befindet sich fünfhundert Kilometer von hier entfernt«, erwiderte Keira.
»Ich kann es kaum erwarten, mit der Arbeit anzufangen.«
»Das Erste wird sein, die Dorfbewohner für uns zu gewinnen.«
»Beunruhigt dich das?«
»Wir haben uns nach dem Sturm fast wie Diebe aus dem Staub gemacht.«
»Aber ihr habt nichts mitgenommen, und deshalb gibt es keinen Grund, dich schlecht zu fühlen«, meinte Eric und entfernte sich.
Es war das erste, nicht aber das letzte Mal, dass sich Keira über den Pragmatismus ihres Kollegen wunderte. Sie zuckte nur mit den Schultern und begab sich zu den Wagen, um zu prüfen, ob das Material sicher festgezurrt war.
Um sieben Uhr morgens setzte der Konvoi seinen Weg fort. Hinter dem Stadtrand von Welkite wichen nach und nach die Steinhäuser kleinen Hütten mit spitzen Strohdächern. Eine Stunde später, als sie ins Gibe-Tal kamen, änderte sich die Landschaft radikal. Sie überquerten die Brücke, die den majestätischen Wasserlauf überspannt. Auf Keiras Bitte hin hielten die Jeeps an.
»Bis wann müssen wir das Camp erreicht haben?«, fragte einer ihrer Kollegen.
»Wir hätten auch den Fluss hinunterfahren können«, meinte Eric mit einem prüfenden Blick auf den Wasserlauf tief unter ihnen.
»Ja, das hätten wir. Dann hätten wir aber zwanzig Tage oder, falls die Nilpferde launisch sind und uns nicht passieren lassen, mehr gebraucht, um ans Ziel zu gelangen. Und in den Stromschnellen hätten wir wahrscheinlich die Hälfte unseres Materials verloren«, erwiderte Keira. »Wir hätten auch ein kleines Flugzeug bis nach Jimma nehmen können, doch für einen einzigen gewonnenen Tag ist das zu teuer.«
Eric wandte sich kommentarlos ab und kehrte zu den Wagen zurück. Zu ihrer Linken durchquerte der Fluss eine Wiesenlandschaft, bevor er sich im Dschungel verlor.
Gefolgt von einer beachtlichen Staubwolke, brach der Konvoi erneut auf. Die Piste wurde immer kurvenreicher, und die Schluchten, die sie durchquerten, immer schwindelerregender. Gegen Mittag passierten sie Abelti, und dann führte der Weg steil nach Asendako hinab. Die Reise wollte nicht enden, nur Keira schien durchzuhalten. Schließlich fuhren die Wagen in Jimma ein, wo sie ihre zweite Nacht verbrachten. Morgen wäre Keira wieder in ihrem Omo-Tal.
Hydra
»Zum Glück hat mich deine Tante vom Telefon des Gemüsehändlers aus angerufen, um mir zu sagen, dass du im Hafen gesichtet wurdest. Wolltest du, dass ich tot umfalle?«
Das waren die ersten Worte meiner Mutter, als ich ihr Haus betrat. Es war ihre Art, mich zu empfangen, und auch ihre Art, mir mein langes Fernbleiben vorzuwerfen.
»Deine Tante hat noch gute Augen, denn ich bin mir nicht sicher, ob ich dich erkannt hätte, wenn ich dir zufällig im Ort begegnet wäre. Du bist mager geworden und siehst schlecht aus.«
Ich rechnete mit zwei oder drei weiteren solchen Bemerkungen ihrerseits, bis sie schließlich bereit wäre, mich in die Arme zu schließen.
»Deine Tante meinte, dein Koffer wäre ziemlich leicht. Du bleibst also nur ein paar
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