Am Fluss des Schicksals Roman
ungewöhnlich.«
Francesca erreichte Derby Downs, ohne sich groß an die Fahrt zu erinnern. In Gedanken war sie so sehr mit ihrem Vorhaben beschäftigt, dass nicht einmal der herrliche Ausblick auf den Fluss sie ablenken konnte. Als sie die Kutsche vor dem Landsitz zum Stehen brachte, stellte sie verwundert fest, dass die Eingangstür weit offen stand. Doch kein Mensch war zu sehen, als sie die Stufen zur Veranda hinaufstieg.
»Hallo ...?«, rief sie von der Türschwelle aus ins Innere, erntete aber lediglich Schweigen. Sie schaute die Treppe hinauf und warf einen Blick in den Salon, doch das Haus wirkte verlassen. »Mabel?«, rief sie. »Mrs Radcliffe? Ist jemand da?«
Mit einem Mal öffnete sich eine Tür unterhalb der Treppe, und ein sehr großer Mann erschien, einen Sack über der Schulter. Der Rücken des Mannes war gekrümmt von dem Gewicht. Er hielt den Kopf nach links geneigt, während sein Mund nach rechts verzogen war, sodass sein Gesicht seltsam schief wirkte.
»Suchen Sie die Herrin des Hauses?«, fragte der Mann.
Seine Erscheinung hatte Francesca einen Schreckeingejagt, aber sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. »Ja. Ist Mrs Radcliffe denn hier?«
»Schon möglich. Wer will das wissen?«
»Mein Name ist Francesca Callaghan. Ich war am letzten Wochenende Gast in diesem Haus, aber wir sind uns offenbar nicht begegnet.« Sie sparte sich eine umständliche Erklärung für ihren überstürzten Aufbruch. »Sie müssen Amos Compton sein.«
Überrascht kniff er die Augen zusammen. »Allerdings, der bin ich.« Amos musterte sie und kam zu dem Schluss, dass diese zierliche Person keine ernsthafte Bedrohung darstellte und dass es sich wohl auch nicht um eine Diebin handelte, die es auf das Tafelsilber oder die Kunstgegenstände abgesehen hatte. »Wenn Sie bitte im Salon warten möchten, dann schaue ich nach, ob ich Mabel oder Mrs Radcliffe finde.«
»Vielen Dank, Mr Compton.« Francesca begab sich in den Salon und nahm Platz. Unruhig fragte sie sich, wo Monty steckte und was seine Mutter zu ihm gesagt hatte, um ihm diese Verbindung auszureden.
»Was tun Sie hier?« Die Stimme klang feindselig.
Erneut fuhr Francesca der Schreck in die Glieder. Sie erhob sich, wandte sich um und stand Regina gegenüber, die von oben heruntergekommen sein musste. Francesca wunderte sich, dass sie die Frau nicht gehört hatte.
»Ich wollte mit Ihnen sprechen, Mrs Radcliffe.« Sie ließ den Blick in die Runde schweifen. »Gibt es ein Zimmer, in dem wir ungestört sind?«
»Ich habe nichts mit Ihnen zu besprechen.«
»Francesca! Wie reizend, Sie zu sehen«, erklang in diesem Augenblick die Stimme von Frederick Radcliffe, der in seinem Rollstuhl aus der Eingangshalle in den Salon kam. »Ich wusste gar nicht, dass Sie hier erwartet werden.« Er sah zu seiner Frau und runzelte die Stirn, als er den Blick bemerkte,mit dem sie Francesca bedachte. »Stimmt etwas nicht, Regina?«
»Nein, nein, keineswegs.« Regina rang sich ein Lächeln ab. »Ich bin nur ein wenig überrascht von Francescas Erscheinen. Ich habe sie hergebeten, damit sie mir hilft, meine Buchführung neu zu ordnen, aber ich hatte ganz vergessen, dass es für heute Vormittag geplant war.«
Francesca blickte sie an und sah, dass Regina plötzlich blass geworden war. »Das ist meine Schuld«, sagte sie. »Ich habe mich wohl mit dem Datum vertan. Ich kann an einem anderen Tag wiederkommen, wenn es ungelegen ist.«
Regina wollte gerade ihre Zustimmung geben, doch Frederick kam ihr zuvor. »Sie kommen niemals ungelegen, nicht wahr, Regina?«, sagte er.
»Ja«, erwiderte Regina, die ihre Enttäuschung hinunterschluckte. »Kommen Sie mit in die Bibliothek, Francesca«, fuhr sie fort und ging voran, während Francesca ihr folgte.
»Ich lasse euch von Mabel Tee bringen«, rief Frederick ihnen nach.
»Nein!«, lehnte Regina schroff ab. Als sie sich umwandte und das verdutzte Gesicht ihres Ehemannes sah, riss sie sich zusammen. »Wir nehmen den Tee später ein, mein Lieber. Jede Unterbrechung stört nur.« Sie blickte Francesca an.
»Ja. Man wird leicht aus der Konzentration gebracht«, bestätigte Francesca.
Fredericks Miene entspannte sich wieder. »Natürlich. Tja, also ... Amos bringt mich in ungefähr zehn Minuten zu den Ställen runter, damit ich unsere Jungkälber begutachten kann. Zum Abendessen bin ich wieder zurück ...«
»Wo ist Monty?«, fuhr Regina dazwischen.
Frederick runzelte die Stirn. In letzter Zeit machte er sich Sorgen um seine Frau.
Weitere Kostenlose Bücher