Am Fluss des Schicksals Roman
als plötzlich Silas Hepburn ihren Weg kreuzte, dem ihre Bestürzung nicht verborgen blieb.
»Guten Morgen, meine Teuerste«, sagte er und zog den Hut. »Fehlt Ihnen etwas?«
»Nein, Mr Hepburn«, antwortete Francesca und wandte das Gesicht ab, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen.
»Sie sind viel zu schön, um Tränen zu vergießen«, sagte er und reichte ihr ein Taschentuch. »Erzählen Sie mir, was Sie bedrückt, und ich bringe es wieder in Ordnung.«
Hätte Francesca nicht gewusst, was für ein Scheusal dieser Mann war, hätte sie seine Worte als Freundlichkeit aufgefasst. »Das können Sie nicht wieder in Ordnung bringen, Mr Hepburn«, entgegnete sie, während sie sich die Tränen mit seinem Taschentuch abtupfte.
»Ich kann Berge versetzen, wenn es sein muss. Leisten Sie mir bei einer Tasse Tee Gesellschaft.«
»Nein, ich muss zurück zum Schiff ...«
»In diesem Zustand gehen Sie nirgendwohin. Nach einem Tässchen Tee fühlen Sie sich bestimmt wieder besser.«
Bevor Francesca sich sträuben konnte, führte Silas sie in die Teestube. Zu ihrem großen Erstaunen eilten gleich zwei Kellner an ihren Tisch. Während der eine ihr den Stuhl hinschob, stand der andere bereit, die Bestellung aufzunehmen. Silas orderte Tee und Kuchen, wobei er Francesca den Eindruck vermittelte, dass sie nicht nur den besten Service bekamen, sondern das Beste von allem – und sie vermutete richtig. Das Teeservice aus Porzellan wurde durch edelstes Silbergeschirr ersetzt, die Servietten durch irisches Leinen, und die Bedienung hätte flinker nicht sein können. Der Besitzer der Teestube wachte höchstpersönlich an ihrem Tisch, während das Personal mit Eifer dafür sorgte, dass alles perfekt war.
Silas machte Francesca mit Walter Frost bekannt, der die Teestube bereits vor vielen Jahren eröffnet hatte, wie er ihr erklärte. Frost war ein großer, hagerer Mann mit schneeweißem Haar und funkelnden blauen Augen.
»Du sorgst ab sofort dafür, dass Miss Callaghan hier stets vorzüglich bedient wird, Walter«, sagte Silas.
Walter Frost hatte Francesca zuvor bereits in der Stadt gesehen. »Selbstverständlich, Mr Hepburn.«
Wenn Regina mich jetzt sehen könnte!, dachte Francesca.
Silas entging nicht, dass Francesca beeindruckt war von dem Respekt, der ihm entgegengebracht wurde. »Das ist angenehm, nicht wahr?«, sagte er in verschwörerischem Tonfall, nachdem Walter sich entfernt hatte.
»Was?«, entgegnete Francesca, die ihren Tee umrührte.
»Wenn man Hochachtung genießt«, entgegnete Silas.
»Ja«, sagte Francesca und musste an die Geringschätzung denken, mit der Regina sie behandelt hatte. Dennoch konnte sie nicht die Augen davor verschließen, was Silas der armen Lizzie angetan hatte. Niemals würde sie verdrängen können, was für ein Scheusal Silas Hepburn war.
»Wenn Sie meine Frau wären, Francesca, würden die Menschen in dieser Stadt Ihnen zu Füßen liegen.«
»Ach, wirklich?« Francesca war sich bewusst, dass sie genauso niedergeschlagen klang wie sie aussah.
»Glauben Sie mir etwa nicht?«
»Ich bin und bleibe eine Schifferstochter, Mr Hepburn«, entgegnete sie leise, »daran ändert auch eine Heirat mit Ihnen nichts.«
Silas besaß genügend Feingefühl, um zu erahnen, dass sie genau das vor kurzem zu spüren bekommen hatte. »Reichtum ist Macht, meine Liebe. Vielleicht ist Ihnen ja bekannt, dass ich aus eher ärmlichen Verhältnissen stamme.« Er bemerkte Francescas Erstaunen. »Dennoch wagt es niemand, auch nur ein Wort darüber zu verlieren oder deswegen auf mich herabzusehen. Sollte jemand Sie gekränkt oder gar beleidigt haben, sorge ich dafür, dass es nie wieder vorkommt.«
Wenn das nur möglich wäre, dachte Francesca.
»Speisen Sie morgen mit mir zu Abend, und ich erzähle Ihnen von dem Leben, das Sie an meiner Seite führen könnten.«
Verblüfft kniff Francesca die Augen zusammen.Reginas Gedanken kreisten um Silas, seit sie die Gewissheit hatte, dass Francesca ihre gemeinsame Tochter war. Seit Jahren verachtete sie den Mann, zu dem Silas geworden war, doch dass er nun die eigene Tochter heiraten wollte, schockierte und entsetzte sie zutiefst. Auch wenn er nicht wusste, dass Francesca seine Tochter war, und es auch nie erfahren würde, änderte das nichts an den Umständen. Zwar galt Reginas größte Sorge Monty, doch sie konnte sich nicht blind stellen, was Silas’ Heiratsabsichten betraf. Die bloße Vorstellung erfüllte sie mit Ekel.
Sie hatte über die vielen Machenschaften
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