Am Fluss des Schicksals Roman
Kapitänen und Schiffstechnikern treten. Sie werden dir die verschiedensten Fragen stellen – über schifffahrtsrechtliche Vorschriften auf Binnengewässern, über die Maßnahmen bei einem Notfall, überManöver in Häfen und vieles andere. Anschließend wird entschieden, ob du fachkundig genug bist, um das Patent verliehen zu bekommen. Eine schriftliche Prüfung gibt es nicht, und das ist auch gut so, weil einige Flussschiffer hier weder lesen noch schreiben können. Trotzdem kannst du dir keine falschen Antworten erlauben, wenn Fragen über Sicherheitsvorschriften oder die Binnenschifffahrt kommen. Deshalb musst du sehr viel lernen.«
»Es wird schon gut gehen, wenn du mich unterweist, Dad.«
»Wie Ned schon sagte, gibt es hier auf dem Fluss zwei Frauen, die das Kapitänspatent haben«, sagte Joe. »Und die sind wesentlich älter als du.«
Doch Francesca ließ sich nicht verunsichern. »Ich wette, die sind auch nicht so hübsch und intelligent wie ich«, entgegnete sie und lachte, als sie die verdutzten Gesichter von Ned und ihrem Vater sah.
Joe schüttelte den Kopf, wobei er sich erinnerte, dass er früher, als Frannie noch ein Kind gewesen war, häufig mit ihr geflachst hatte. Seiner Tochter schien es ernst mit ihrem Vorsatz zu sein, Schwung in das Leben an Bord zu bringen – und vielleicht war es genau das, was er und Ned brauchten.
»Kein Wunder, dass ich von deinen Lehrern Briefe bekommen habe, in denen sie sich über deine Ungezogenheit beschwerten«, sagte Joe.
»Das ist nicht wahr«, sagte Francesca mit großen Augen.
»O doch. Du kannst ja Ned fragen. In einem Brief stand, dass du die anderen zu allem möglichen Unfug anstiftest und anständige Mädchen vom rechten Weg abbringst. Offenbar hatte man sogar erwogen, dich von der Schule zu verweisen. Stimmt’s, Ned?«
Ned nickte. »Stimmt. Du hast damals zurückgeschrieben und die Schulleitung gebeten, dass Frannie bleiben darf.«
Francesca errötete. Sie war keine Musterschüleringewesen, das wusste sie, aber dass man sie von der Schule verweisen wollte ...
»Sieh mal, wie rot sie geworden ist, Ned«, sagte Joe. »Das ist das schlechte Gewissen.« Die beiden Männer brachen in Gelächter aus, und Francesca erkannte, dass ihr Vater sich bloß einen Scherz erlaubt hatte.
»Dad! Wie kannst du mir so eine Geschichte auftischen?«
»Da habe ich wohl einen Nerv getroffen?«
»Nein, hast du nicht.«
»O doch. Vielleicht sollten wir uns bei Gelegenheit über deine Schulzeit unterhalten.«
»Auf gar keinen Fall«, widersprach Francesca entschlossen.
Am späteren Abend standen Francescas Vater und Ned am Bug und unterhielten sich. Als sie sich den Männern näherte, hörte sie, wie ihr Vater den Namen »Silas« erwähnte und davon sprach, die Marylou am liebsten in Brand zu setzen. Sein Tonfall verursachte ihr eine Gänsehaut.
»Von wem hast du gerade gesprochen, Dad?«, fragte sie. »Heute Morgen habe ich am Pier einen Mann kennen gelernt, der sich als Silas Hepburn vorgestellt hat.«
»Du bist Silas begegnet?«, fragte Joe entgeistert.
»Ja. Er hat mir angeboten, mich hierher zu führen, aber ich habe abgelehnt. Der Mann war mir unsympathisch.«
Joe machte ein finsteres Gesicht. »Was hat er denn gesagt?«
Francesca bemerkte die Verachtung in der Stimme ihres Vaters. Am besten, sie sagte ihm nichts von Silas’ anzüglichem Verhalten ihr gegenüber. »Nichts Besonderes, aber er hat sich mächtig aufgeplustert und damit geprahlt, der Gründer von Echuca zu sein. Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der so sehr von sich eingenommen ist.«
»O ja, das ist er«, pflichtete Joe ihr bei. »Vor kurzem hatseine dritte Ehefrau ihn verlassen und ist mit den Kindern nach Melbourne zurückgekehrt. Obwohl Silas ein reicher und mächtiger Mann ist, hält es offenbar keine Frau lange an seiner Seite aus.«
»Die dritte Ehefrau? Haben die anderen beiden ihn auch verlassen?«, wollte Francesca wissen.
»Nein. Seine erste Frau nicht. Matilda ist angeblich im Kindbett gestorben. Soviel ich weiß, war sie selbst fast noch ein Kind, als sie schwanger wurde«, stieß er angewidert hervor. »Brontë, seine zweite Frau, hat ihn nach etlichen Jahren verlassen. Gattin Nummer drei war Henrietta Chapman. Die Ehe mit Henrietta hielt auch einige Jahre, aber ich hatte ihr gute Chancen eingeräumt, es länger auszuhalten. Sie war eine stille Frau, die keine eigene Meinung zu haben schien. Mir schien sie wie geschaffen für einen so selbstherrlichen Schnösel. Doch
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